Wissenswertes zu deutschsprachigen Memoiren der Napoleonzeit

Dr. Thomas Hemmann

- Veröffentlicht in "Die Zinnfigur", Jg. 2001, Hefte Mai (S. 118-120), Juni (143-146), August (204-207) -

Memoiren von Württembergern

Einleitung

In Fortsetzung meines Artikels über Memoiren von Soldaten der russischen Armee [1] folgt hier eine Übersicht von Erinnerungswerken von Zeitgenossen aus den deutschen Staaten, beginnend mit Angehörigen der württembergischen Armee.

Für eine Einführung in die Geschichte Württembergs in der Napoleonischen Zeit sei auf die Monographie Paul Sauers [2] und auf den umfangreichen Katalog der 1987 gezeigten Austellung "Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons" verwiesen. Letzterer bietet gerade für den Sammler eine Fülle von Material, insbesondere zahlreiche Abbildungen aus dem zivilen und militärischen Leben. Zusammenstellungen von Auszügen aus Memoiren sind abgedruckt in [4] [5] (liegen mir beide nicht vor) sowie in [6] [7].

Leider besitze ich nicht von allen folgenden Autoren Abbildungen. Allerdings ist zu vermuten, dass mehrere der unten Genannten auf den Zeichnungen Fabers zu sehen sind, z.B. auf dem Bild "Lichtensteins Kaffeehaus" mit etwa zwanzig porträtähnlichen Abbildungen von württembergischen Soldaten und Offizieren, die sich auf ihrer Flucht aus Russland am 7. Dezember 1812 in Wilna in diesem denkwürdigen Café aufhielten.

Noch ein Wort zur redaktionellen Aufbereitung. Die Titel der Memoiren habe ich im Original angegeben, um dem Leser deren Auffinden in Bibliotheken oder Antiquariaten zu erleichtern. Ansonsten habe ich mich bemüht, im Text die neuen Rechtschreibregeln anzuwenden, wobei jedoch möglichst die ursprüngliche Interpunktion beibehalten wurde, um den originalen Stil nicht allzu sehr zu verwischen. Eigene Erläuterungen innerhalb der Zitate habe ich in runde Klammern gesetzt und mit TH gekennzeichnet. Auslassungen habe ich mit (...) markiert.

Christian Wilhelm v. Faber du Faur: Mit Napoleon in Rußland 1812. Blätter aus meinem Portefeuille

Der wohl heute bekannteste württembergische Offizier jener Jahre ist der damalige Oberleutnant der württembergischen Artillerie Faber du Faur. Seine Bilder sind wohl in jedem illustrierten Werk über den russischen Feldzug 1812 zu finden. Im Gegensatz zu seinem zivilen Malerkollegen Albrecht Adam (der andere berühmte Maler jenes Krieges), der im September 1812 auf eigene Faust den Rückzug aus Moskau antrat und von dem wir - im Sinne von Augenzeugenberichten - nur Abbildungen vom Vormarsch bis Moskau besitzen, kostete Faber du Faur den Kelch bis zur Neige und machte den gesamten mühseligen Rückzug mit der Großen Armee mit. Für uns Heutige ist das natürlich ein Glück, besitzen wir doch so ein Reihe von authentischen Illustrationen auch aus den Monaten Oktober bis Dezember 1812 [8]. Der Wahrheit zur Ehre muss hier allerdings hinzugefügt werden, dass die Kommentierung des "Portefeuilles" Faber du Faurs Kamerad Friedrich v. Kausler übernahm, so dass uns Faber du Faur eigentlich nur bildliche Erinnerungen hinterließ.

Faber du Faur wurde 1780 geboren. Zuerst schlug er die zivile Laufbahn ein und brachte es bis zum Regierungsadvokaten, bevor er mit 29 Jahren in den militärischen Zweig überwechselte (die württembergische Armee hatte nach der Erhebung Württembergs zum Königreich und der damit einher gehenden territorialen Vergrößerung einen großen Personalbedarf). Vermutlich kam Faber du Faur sein zeichnerisches Talent bei der Artillerie besonders zugute. Als Subalternoffizier machte er die Feldzüge von 1809, 1812, den Frühjahrsfeldzug 1813 und die Kampagne von 1815 mit. Nach der Angabe Otto Borsts wurde Faber du Faur in der Schlacht bei Bautzen 1813 verwundet, so dass der Feldzug 1814 in seiner Stammrolle fehlt. Nach den Befreiungskriegen stieg er die Karriereleiter von Stufe zu Stufe empor: 1819 Major, 1836 Oberstleutnant, 1840 Oberst und 1849 Generalmajor. Unter anderem wirkte er als Berater beim Ulmer Festungsbau sowie als württembergischer Militärbevollmächtigter bei der Bundesmilitärkommision in Frankfurt a.M.

Abbildung 1: Christian Wilhelm von Faber du Faur

Eine Szene vom Übergang über die Beresina mag hier zur Schilderung der Gräuel des Rückzugs dienen (Kauslers Text zu Faber du Faurs Bild "Biwak auf dem rechten Ufer der Beresina, 27. November 1812", d.h. unmittelbar nach dem gefahrvollen Passieren der Fußgängerbrücke über die Beresina, inmitten Tausender Flüchtlinge): "Vertrieben von unserem Feuer (zunächst lagerten Faber du Faur und Kausler unmittelbar am rechten Beresinaufer, von wo sie aber durch noch halbwegs intakte Verbände des IX. französischen Armeekorps aus ihrem schon eingerichteten Biwak vertrieben wurden - TH), an dem wir es uns so wohnlich wie nur immer möglich gemacht hatten, zogen wir zu dem eine halbe Stunde entfernt liegenden Weiler Zaniwki, wo wir unter starkem Schneegestöber mit der Nacht ankamen. Hier war das ganze kaiserliche Hauptquartier, der Rest der Garden, und nach und nach alles versammelt, was an diesem Tag die Beresina überschritten hatte. Nicht mehr in Reih` und Glied, alles, was sich - durch die weithin leuchtenden Biwakfeuer angelockt - noch so weit durch den Schnee schleppen konnte. Alle Häuser trafen wir besetzt an, überall verwehrte man uns den Eintritt, nur mit Mühe und nach langem Suchen fanden wir mit unserem Hauptquartier und dem größten Teil der Offiziere und Soldaten Platz an einem Haus. Mit blutigem Streit mussten einige Balken zu einem Feuer erkämpft werden, um welches wir, drei bis vier Reihen tief im Schnee gelagert, ohne Lebensmittel die Nacht zubrachten. Aber auch jene, welche sich der Häuser bemächtigt hatten, konnten diese größtenteils nicht lange genießen, denn nicht um den Platz in denselben, um die Häuser selbst entspann sich überall ein mörderischer Kampf. Sie wurden von den aus Kälte rasend gewordenen Soldaten und besonders von den Garden zuerst abgedeckt, um Holz fürs Feuer zu bekommen, und von den Bewohnern hartnäckig, jedoch ohne Erfolg verteidigt. Am folgenden Tag war Zaniwki fast völlig verschwunden und in Biwakfeuern aufgegangen."

Wilhelm v. Koenig: Bericht über seine Teilnahme am russischen Feldzug

Freiherr Wilhelm von Koenig auf Fachsenfeld wurde 1793 als Sohn eines Oberjustizrates in Stuttgart geboren. Obwohl Wilhelm, wie sein Vater, eine Karriere in der Landesjustiz beginnen wollte, wurde er kurz vor dem Abitur im Mai 1811 zum Infanterieregiment Nr. 4 ausgehoben und von da zum Leibchevauxlegersregiment Nr. 2 nach Ludwigsburg versetzt. Bereits am 7. Februar 1812, kurz vor dem Aufbruch des Regiments zur russischen Kampagne am 20. d. M., wurde Koenig zum Leutnant bei den 1. Chevauxlegers ernannt. Seine Erinnerungen [9] hat er viele Jahre später verfasst, wobei er auf die Briefe an die Eltern zurückgreifen konnte.

Über Leipzig und Frankfurt / O. ging das Chevauxlegersregiment nach Thorn, wo es Mitte Mai eintraf. In Polen, d.h. noch im Freundesland, mussten auf höheren Befehl schon die ersten Fouragierungen durchgeführt werden, was natürlich nicht gerade das Verhältnis zu den Einheimischen beförderte. Kurz nach dem Einmarsch in Russland Ende Juni wurde der Regimentskommandeur Oberst v. Brockfeld (offenbar wegen Trunksucht und Unfähigkeit) nach Hause geschickt, das Kommando übernahm interimistisch Koenigs Eskadronchef Oberstleutnant v. P.

Die württembergische Chevauxlegers-Brigade stieß bei Disna vorübergehend zum II. Reservekavalleriekorps unter Montbrun. Am 21. Juli wurde die Düna durchschwommen. Koenigs Bericht von diesem Tag [9], S. 121ff, erhellt die Strapazen des Vormarsches: "Der Fluss war hier sehr breit und man stellte Schwimmer, von denen in Folge der Erkältung nachher einige starben, mit Stangen in den Fluss auf, um die zu nehmende möglichst gefahrlose Richtung zu bezeichnen. (...) Ich hielt mich hinter meinem Rittmeister v. Bär, der einen großen Fuchsen ritt und gedachte mich schon gut zu dirigieren und im Notfall zu schwimmen. Ich hängte daher den Säbel an das Pistolenhalfter und zog die Füße möglichst hinauf um nötigenfalls sogleich aus dem Sattel zu sein. Auf einmal stund mein Pferd auf einem Felsenstück und wohl oder übel ging es nun plumps ins reißende Wasser, aus dem nur noch der Hals und Kopf meines vortrefflichen Braunen und ich von der Brust an heraussahen. Mein Brauner schwamm aber glücklich durch die gefährliche Stelle. Von Absitzen war am jenseitigen Ufer keine Rede. Diejenigen deren Stiefel keine Löcher hatten, aus denen das Wasser von selbst herauslief, konnten sich dessen aus den Stiefeln nur dadurch entledigen, dass sie die Füße einen nach dem anderen über horizontal heraufbrachten und dadurch dem Wasser den Weg auf den Sattel - um mich so schicklich wie möglich auszudrücken, und von da an diesem abwärts bahnten. Kaum waren die Kleider am Leibe getrocknet, so stellte sich Regen ein, der uns bis nach Polozk begleitete und die ganze Nacht fortdauerte. Vor dieser Stadt bezog die sämtliche Reiterei unter Montbrun, mindestens 12 Regimenter, einen Bivouac. Bei gänzlichem Mangel an Stroh war von Hütten keine Rede. Unsere Reiter trugen für die Offiziere der Eskadron eine Flügeltüre aus der Stadt herbei, welche als Dach hingerichtet wurde. Da wir unser 4 waren, so reichte dasselbe notdürftig nur und mich begoss die Traufe als den letzten. So oft ich dann diesem auszuweichen suchte, schrie der Rittmeister, er werde heraus gedrückt und es hieß der Koenig, der Hereindrückende sei daran schuld. Endlich resignierte ich. Gegen Mitternacht ging ein Branntweinmagazin in Flammen auf, das den ganzen unabsehbaren Bivouac, der aus allen Waffengattungen - Husaren, Lanciers, Dragoner, Kürassiere, Jäger und Chevauxlegers- bestund, mit blauem und rotem Feuer beleuchtete. Ich verließ meine Dachtraufe und betrachtete bis zum Anbruch des Tages dieses seltene und prächtige militärische Bild, denn durchnäßter als ich war konnte ich nicht mehr werden. Zum Kochen fehlte es bis auf das Holz, also kurz gesagt an Allem und Jedem und obgleich an Hunger und Durst gehörig gewöhnt, quälte mich der Hunger diesesmal besonders. Den ganzen Tag vom Anfang bis zum Untergang der Sonne, zweimal total durchnäßt, war man marschiert und campierte nun in Regen und Kot ohne einen Bissen genossen zu haben."

Auf dem Marsch von Witebsk nach Rudnia (bei Smolensk) bekam Koenig wie so viele andere Soldaten die Ruhr. Er hatte jedoch Glück, da er einige Tage darauf zum Ordonnanzoffizier beim (französischen) Brigadegeneral Beurmann ernannt wurde. Die bessere Kost an der Generalstafel ließ Koenig schnell gesunden. Bei Rudnia, am 8. August, erhielt er dann seine Feuertaufe, als die Russen unter Barclay zum ersten energischen Gegenstoß ansetzten. In den Kämpfen um Smolensk wurde Koenig verwundet und kam ins Lazarett. Gegen den Befehl des Gouverneurs von Smolensk folgte er am 17. September der Großen Armee nach Moskau und wäre beinahe in Gefangenschaft geraten, da bereits Kosaken die Heerstraße unsicher machten und die Franzosen und ihre Alliierten nur noch einige Stützpunkte einigermaßen sichern konnten. In Moskau trat er wieder ins Regiment ein und kaufte vom bereits genannten Oberstleutnant v. P. einen kräftigen Rappen, der Koenig bis nach Württemberg zurück begleiten sollte (eines der wenigen Pferde, die aus dem russischen Feldzug zurück kamen). Auf dem Rückzug von Moskau, bei Wjasma, erklärte Oberstleutnant v. P. das 1. Chevauxlegersregiment für aufgelöst und stellte es den Offizieren frei, nach Belieben zu marschieren. Koenig schloss sich an eine etwa 12-15 Mann starke Gruppe von Offizieren und Gemeinen an. Vor Smolensk gelang es ihm, vom Oberleutnant v. Suckow (s.u.) ein Säckchen Reis zu erhalten, das letzterer aus einem nicht mehr fortzubringenden Fourgon (Trainwagen) an alle vorüberkommenden Württemberger freigiebig verteilte. Nachdem Koenig mit Hilfe seines kräftigen Rappen auch die Beresina passiert hatte, gelangte er am 8. Dezember nach Wilna. Dort verlor Koenig beinahe den Rappen, da dieser mit dem Bedienten voraus marschiert war; es gelang Koenig jedoch, in Preußen das Tier wieder zu finden. Koenig erwähnt, dass der Brief, in dem er von Ostpreußen aus seinen Eltern die glückliche Heimkehr aus Russland meldete, ebenso wie alle anderen Brief in Stuttgart erbrochen und untersucht wurde. Die Zensoren ließen das Schreiben jedoch passieren, da Koenig die Vorsicht gebraucht hatte, nichts vom Zustand der Armee zu erwähnen, dafür aber die Vorsorge des Königs von Württemberg zu loben (der den Grafen Salm tatsächlich mit einigen Tausend Dukaten den flüchtenden Truppen bis Russland entgegen geschickt hatte, um den dringendsten materiellen Bedürfnissen abzuhelfen). Koenig gehörte zu den ersten Offizieren, die ins Vaterland zurück kehrten, da er und v. P. einerseits und Graf Normann (der 1813 bei Kitzen unrühmlich bekannt wurde) und dessen Adjutant v. Braun von Polen bis Württemberg eine Wettfahrt mit dem Schlitten machten, die v. Koenig und v. P. gewannen. Von König Friedrich wurden die genannten vier Offiziere in Ludwigsburg zunächst recht ungnädig empfangen, allerdings erhielt unser Protagonist dann im März 1813 den Militärverdienstorden für seine Teilnahme am russischen Feldzug.

Koenig musste im weiteren Verlauf noch als Adjutant des Generals Jett (Kommandeur der 24. Leichten Kavalleriebrigade im IV. Korps Bertrand) den Feldzug in Sachsen 1813 mitmachen (u.a. die Schlachten von Bautzen, Dennewitz und Leipzig), wo er aber erkrankte. Nach dem Frieden von Paris erhielt er den erbetenen Abschied und ging zum Studium nach Heidelberg zur Vorbereitung auf seine zivile Karriere. Das folgende Bild zeigt ihn wahrscheinlich um 1840 als Kammerherr.

Abbildung 2: Wilhelm v. Koenig auf Fachsenfeld

In seinem Schloss Fachsenfeld richtete Koenig sich später ein "russisches Zimmer" mit Erinnerungsstücken an die Zeit von 1812 ein, darunter auch Faber du Faurs Zeichnungen. Den 1838 verstorbenen Rappen, der zuletzt sechs Jahre lang das Gnadenbrot erhalten hatte, ließ v. Koenig malen und ihm ein Denkmal setzen - ein schönes Zeichen der Anhänglichkeit zwischen Mensch und Tier. Koenig starb 1879.

Karl Gottlieb Friedrich v. Kurz: Der Feldzug von 1812. Denkwürdigkeiten eines württembergischen Offiziers

Karl v. Kurz wurde 1785 in Wildbad geboren. Den russischen Feldzug machte er als Leutnant im 4. Linieninfanterieregiment "Franquemont" mit. Im Verlaufe des Feldzuges wurde er zum Regimentsadjutant ernannt und stand in dieser Eigenschaft dem Regimentskommandeur, Oberst v. Roeder (gestorben als Generalmajor im Wilnaer Lazarett, Januar 1813) nahe. Die Urheberschaft Kurz` an den "Denkwürdigkeiten" [10] geht aus einer handschriftlichen Bemerkung in einem der Stuttgarter Königlichen öffentlichen Bibliothek gehörenden Exemplar der 1. Auflage von 1838 hervor. Kurz starb 1859 in Wildberg als Hauptmann. Leider war es mir nicht möglich, weitere biografische Details zu ermitteln.

Die Denkwürdigkeiten beschränken sich nicht auf die persönlichen Erlebnisse Kurz`, sondern beschreiben auch im kriegsgeschichtlichen Sinne die Teilnahme des württembergischen Kontingents innerhalb des III. französischen Armeekorps unter Marschall Ney. Inklusive der Ergänzungsmannschaften vom August 1812 rückten demnach 15.800 Mann und 3.400 Pferde aus (das 3. Regiment Jäger zu Pferd wurde allerdings dem II. Kavalleriekorps Montbrun überwiesen). Die Mühen des Vormarsches, bei dem man nach dem Aufbruch am 11./12. März am 22. März noch durch mehrere Fuß tiefen Schnee auf der Höhe des Thüringer Waldes marschieren musste, die Verpflegungsschwierigkeiten (besonders nach dem Verlassen des preußischen Gebiets), Kälte, Staub, Regen, gefolgt wiederum von "ägyptischer Hitze im August" bei der Annäherung an Smolensk, die Kämpfe in Smolensk, bei Walutina Gora und Borodino - dies alles wird von Kurz eindringlich geschildert. Es wird klar, warum die Stärke des württembergischen Kontingents sich in Moskau am 19. September nur noch auf ca. 800 dienstfähige Mannschaften belief [10], S. 97, so dass nur ein Häuflein Württemberger den Rückzug überhaupt antreten konnte. Die größten Leiden und Entbehrungen standen aber noch bevor! Bis Smolensk ging es noch halbwegs erträglich, in der Stadt hatten die Württemberger - fast als einziges Kontingent - noch eine geregelte Verpflegung. Aufgrund der Vorsorge durch General v. Scheeler und Stabsfourier Heckenberger konnte jeder Offizier am 12./13. November zwei Laibe Brot und eine Flasche Branntwein empfangen, unermessliche Schätze unter den damaligen Umständen! Aber bereits wenige Tage später wurde dem Ney`schen Korps hinter Krasnoi von den Russen der Rückzug abgeschnitten. Von den etwa 9.000 Bewaffneten und 4.000 meist unbewaffneten Nachzüglern, mit denen Ney am 17. morgens ausgezogen war, erreichten drei Tage später gerade 800 noch Orscha, nachdem sie zuvor auch noch den Dnjepr auf Eisschollen passieren mussten. Bei Borissow an der Beresina wurden die Trümmer des württembergischen Kontingents durch die Überreste des 7. Infanterieregiments (150 Mann) verstärkt, welches seit 1811 zur Garnison von Danzig gehört hatte und nunmehr mit dem polnischen General Dombrowski vor dem Beresinaübergang zur Großen Armee stieß. Den noch zusammen gebliebenen Württembergern, wenige Hundert Mann unter Befehl des General v. Kerner, gelang am Abend des 27. November der Übergang über die Beresina. Kurz gelang es aber erst am 29. zusammen mit zwei anderen Kameraden, im Gedränge von Tausenden panischen Flüchtlingen und unter dem Feuer der heranrückenden Russen, über die Brücke zu kommen. Hören wir seinen Bericht, einsetzend mit dem Moment, wo er sich - noch zu Pferde - der Fußgängerbrücke schon dicht genähert hatte: "Fast in demselben Augenblick wurde meinem treuen Fuchse ein Vorderfuß durch ein gesprungenes Granatstück verwundet; ich brachte ihn nicht mehr von der Stelle und kaum blieb mir die Zeit, meine Jagdtasche, die mir als Mantelsack diente, abzulösen. Mit Schmerzen ließ ich das edle Tier zurück, das mich seit Moskau zweimal dem Tod oder der Gefangenschaft entrissen hatte. Mit Gewalt drängte ich nun immer vorwärts über zuckende Körper von Menschen und Pferden; oft berührte ich mit dem Fuße streckenweise keinen Boden, von der nach der Brücke strebenden Masse geschoben und getragen. In diesem Augenblick sah ich viele halb erdrückt zu Boden fallen, um sich nie mehr aufzurichten. Einigemal war ich der Gefahr nahe, ein ähnliches Opfer zu werden; aber Verzweiflung lieh mir Riesenkräfte. Ich raffte mich immer wieder auf, und unter solchem fürchterlichen Kampfe nach Rettung gelang es mir, förmlich über die Brücke getragen, das jenseitige Ufer zu gewinnen. Betäubt von den seit zwei Tagen und jetzt noch erlebten Gräueln wie von meiner wunderbaren Rettung, setzte ich mich in einiger Entfernung vom Ufer an ein noch glimmendes Feuer, das eben seine früheren Besitzer, nunmehr wieder vorwärts eilend, verlassen hatten. Von dieser etwas erhöhten Stelle war alles, was auf dem jenseitigen Ufer noch vorging, in meinem Gesichtskreis. (...) Immer näher und näher schloss sich der Kreis der Feinde um die Bedrängten, immer mehr vermehrten sich die Opfer, die die feindlichen Geschosse und die Wellen verschlangen, bis gegen Mittag des 29. November die Brücken in den Grund geschossen wurden und der Übergang ein Ende hatte. Was noch jenseits blieb, war gefangen" [10], S. 184f.

Kurz gelangte im weiteren Verlauf seiner Flucht am 9. Dezember nach Wilna, wo er aufgrund von Mangel an Unterkünften im württembergischen Spital übernachtete, am nächsten Morgen zu spät aufbrach und von den schon in Wilna eingedrungenen Russen gefangen genommen wurde. Er wurde so Zeuge der mehrtägigen Plünderungen und Misshandlungen, die die Einwohner Wilnas und die Sieger an den unglücklichen Gefangenen verübten, bis durch die Ankunft des (auf russischer Seite kämpfenden) Generals Herzog Alexander von Württemberg am 15. Dezember in Wilna wieder halbwegs Ordnung einkehrte. Im Spital verstarb in den nächsten Wochen und Monaten ein großer Teil der Kranken durch Seuchen und Kälte sowie Mangel an Pflege, Arznei und Nahrungsmitteln. Kurz gelang es jedoch, in einer Privatwohnung in der Stadt unterzukommen und so zu überleben. Im Juni 1813 (nach den verlorenen Schlachten von Großgörschen und Bautzen) wurden alle reisefähigen Gefangenen von den russischen Behörden weiter ins Landesinnere geschickt. Über Minsk, Bobruisk (Festung an der Beresina) und Kursk gelangte Kurz mit seinem Gefangenentransport am 29. November 1813 nach Tambow, dem vorläufigen Ziel der unfreiwilligen Reise. Kurz` französische Begleiter wurden weiter nach Simbirsk geschickt; er durfte in Tambow bleiben, bis er gegen Weihnachten die Nachricht erhielt, dass er in sein Vaterland zurückkehren dürfe (inzwischen war der König von Württemberg auf die Seite Russlands und der anderen der Verbündeten übergetreten). Am 25. Dezember trat Kurz per Schlitten die Heimreise an und erreichte - nach mancherlei Aufenthalten - am 26. Mai 1814 Ellwangen an der württembergischen Grenze und am 31. Mai Ludwigsburg. Wieder daheim!

Christian Martens: Vor hundert Jahren

Martens wurde 1793 in der Nähe Venedigs geboren. Den Russlandfeldzug machte er als 19-jähriger Leutnant des Linieninfanterieregiments Nr. 6 "Kronprinz" mit. Sein Erinnerungen an diesen Feldzug erschienen 1862 unter dem Titel "Vor fünfzig Jahren". Leider liegt mir dieses Buch nicht vor. Theodor Rehtwisch veröffentlichte etwa 1913 in der Reihe "Aus vergilbten Pergamenten. Eine Folge von Tagebüchern, Briefen und Berichten aus der Napoleonischen Epoche" Martens` Denkwürdigkeiten des Jahres 1813, betitelt mit "Vor hundert Jahren". Auf diese [11] beziehen sich meine weiteren Ausführungen.

Martens war Ende Januar 1813 - aus Russland kommend - wieder in Württemberg eingetroffen. Von seinem alten Regiment kamen außer ihm nur der Oberstleutnant v. Imhoff und Leutnant v. Hornstein zurück, von den Mannschaften kein einziger! Bereits Ende März musste Martens wieder ausrücken, nachdem zuvor die neu eingezogenen Rekruten in aller Eile ausgebildet worden waren. Das württembergische Kontingent unter Generalleutnant v. Franquemont zählte nach Martens` Angaben 11.617 Mann, 2724 Pferde und 24 Geschütze, also rund 30% weniger als im Vorjahre. Es wurde als 25. Division im IV. französischen Armeekorps (Chef General Bertrand) eingereiht. Ende Mai wurden die Quartiere in Württemberg verlassen und der Marsch nach Sachsen angetreten. Am 9. Juni erreichte Martens mit seinem Regiment Leipzig. Nach einigen Ruhetagen rückten die württembergischen Truppen (zwei Kompanien vom 4. Infanterieregiment und Martens` Kompanie) am 17. Juni gegen das - nach Abschluss des Waffenstillstandes - der Elbe als Demarkationslinie zustrebende Freikorps Lützow aus und überfiel dieses abends gegen 21:00 Uhr (die Lützower waren schon im Biwak und hatte es sogar versäumt, Vorposten auszustellen). Zehn Lützow`sche Offiziere und etwa 100 Jäger wurden von der württembergischen Infanterie gefangen genommen. Nach dem Waffenstillstand kamen die württembergische Division auf den rechten Flügel der Ney`schen Heeresgruppe, die auf Berlin vorstoßen sollte. Da der Gegenstoß der Preußen unter Bülow bei Großbeeren am 23. August sich gegen die französische Heeresmitte richtete (die Sachsen unter Reynier), kam Martens an diesem Tag nicht ins Gefecht. Dafür litten die Württemberger bei Dennewitz am 6. September um so mehr. Alles wälzte sich in aufgelöster Flucht der rettenden Elbbrücke bei Torgau entgegen; aus den vorherigen Regimentern mussten nach der Schlacht kombinierte Bataillone gebildet werden. Lassen wir Martens selbst diese heillose Flucht schildern, beginnend mit dem Abend des 6. September: "Vergeblich war nun jeder Widerstand, unsere Infanterie stellte sich in Vierecken auf, die aber durch Geschützfeuer so mörderisch beschossen wurden, dass die feindliche Reiterei bald instand gesetzt war, die in Unordnung geratenen zu überwältigen und niederzuhauen. Auf diese entsetzliche Weise gingen die Regimenter Nr. 2 und 7 verloren (...) Ein allgemeiner Rückzug erfolgte nun, anfangs ziemlich geordnet, bald darauf aber in einer völligen Flucht, die Generäle hoben umsonst ihre Degen hoch und schrieen sich heiser, Franzosen, Italiener und Deutsche flohen mit Kanonen, Wagen und Reitern verwirrt durcheinander, in undurchdringliche Staubwolken eingehüllt. Der Tumult war so groß, daß man des Geschützes Donner nicht mehr vernahm und nur die Kanonenkugeln durch die Luft zischen hörte (...) Einen panischen Schrecken verursachten die vielen Granaten, welche in diesen Haufen zerplatzten und viel Unheil stifteten; eine zersprang in unserem Viereck, wodurch Leutnant Häckhel und mehrere Soldaten schwer verwundet wurden (...) Beim Dorf Öhna wurde der erste Halt gemacht; bei großer Hitze und argem Staube war alles von brennendem Durste gequält; ein naher Teich verführte mehrere unserer Leute, daselbst Wasser zu holen, noch ehe sie aber unser am Walde befindliches Bataillon erreichen konnten, wurden sie nebst meinem Diener, der sich auch dabei befand, von feindlichen Reitern überfallen und gefangengenommen."

Nach der Schlacht von Dennewitz bestand das Regiment "Kronprinz" noch aus einem Bataillon zu vier Kompanien; nach dem Gefecht bei Wartenburg, bei dem Yorck am 3. Oktober der Schlesischen Armee den Elbübergang erzwang, war das Regiment auf sechs Offiziere und 144 Gemeine geschrumpft. Nach der Völkerschlacht, bei der die Württemberger des Bertrand`schen Korps mehr in der Zuschauerrolle waren (wahrscheinlich zweifelte die französische Heeresleitung schon an ihrer Zuverlässigkeit), zogen sie zunächst mit der fliehenden französischen Armee Richtung Rhein zurück. Bei Freyburg an der Unstrut kam es noch zu einem Arrieregardengefecht. Bei Fulda trennte man sich einvernehmlich von den Franzosen und marschierte nun südlich Richtung Heimat. Die württembergische Grenze wurde am 31. Oktober erreicht. Das Regiment Kronprinz, das im Frühjahr mit 1375 Mann ausmarschiert war, bestand noch aus vier Offizieren nebst 60 Gemeinen, von den 12.000 Mann des Korps erreichten ca. 1.000 wieder Württemberg. König Friedrich schloss am 2. November ein Bündnis mit den Verbündeten und der zwanzigjährige Martens zog 1814 in seinen dritten Feldzug, diesmal gegen Frankreich.

Über das weitere Leben des Christian v. Martens konnte ich nichts in Erfahrung bringen; es ließ sich nur ermitteln, das er 1882 hochbetagt starb.

Benedikt Peter: Wachtmeister Peter mit und gegen Napoleon

Peter wurde 1785 in Wellendingen bei Rottweil geboren. 1802 kam sein Heimatort zu Württemberg,1806 wurde er zum Heer eingezogen. Aufgrund seiner Eignung wurde er von der Infanterie zu den Königsjägern zu Pferde (Nr. 4) versetzt, wo er schon 1807 zum Unteroffizier avancierte. 1809 nahm er an seinem ersten Feldzug, gegen Österreich teil. Der Regimentskommandeur wollte ihn im gleichen Jahr zum Offizier vorschlagen, was aber Peter ausschlug, da es ihm an Vorbildung, Vermögen und Welterfahrung fehle. Zumindest die mangelnde Schulbildung konnte er in den Folgejahren nachholen, in denen er Lesen und Schreiben lernte.

Mit seinem Regiment musste Peter dann im Februar 1812 nach Russland ausrücken. Zunächst wurde er Ordonnanz beim Divisionschef, General v. Woellwarth (zu diesem s.u.). Nachdem Woellwarth im Juni 1812 von Napoleon nach Hause geschickt wurde, tat Peter offenbar wieder Dienst in seinem Regiment, das aber am 21. Juni aus dem württembergischen Verband herausgelöst und in die 9. leichte Kavallerie-Brigade Mouriez (zusammen mit den französischen 11. Husaren und 6. Chevaulegers-Lanciers) eingegliedert wurde. Peter nahm an zahlreichen Gefechten und Schlachten teil, u.a. bei Witebsk, Krasnoi, Smolensk, Walutina Gora und Borodino (wo er verwundet wurde). Mit seinem Regiment erreichte er am 14. September Moskau und verließ es wieder am 18. Oktober. Die Mühsale des Rückzuges blieben auch unserem Peter nicht erspart; er gibt an, dass das Regiment in Gshatsk (unweit Moskau) nur noch sechs Unteroffiziere und zwölf Reiter zählte! Bei letzterem Ort mussten alle Pferde an die Artillerie abgegeben werden, d.h. von da an marschierten die Jäger zu Fuß. Die Beresina überschritt Peter mit noch acht übriggebliebenen Kameraden auf der Brücke, die für die Artillerie und Kavallerie vorgesehen war (Peter hatte sich ein Russenpferdchen "besorgt" und drängte sich mit seinen Kameraden zwischen überfahrende Kanonen ein). Er gelangte glücklich am 14. Dezember wieder über die russische Grenze und über Frankfurt / O., Leipzig, Würzburg nach Ludwigsburg, wo er am 15. Februar 1813 eintraf und mit den anderen Heimkehrern von König Friedrich gemustert wurde. Nach nur vier Wochen Erholung trat er wieder seinen Dienst an und wurde bald darauf zum Wachtmeister befördert. Württemberg als Rheinbundmitglied wurde von Napoleon gezwungen, seine Armee umgehend wieder zu errichten (was naturgemäß besonders für die Kavallerie schwierig war) und in dem bevorstehenden Feldzug gegen Russland und Preußen Heeresfolge zu leisten. Ende März konnte das Regiment bereits Ludwigsburg verlassen (eine erstaunlich kurze Zeit - TH) und rückte zunächst in Kantonierungen im Hohenlohischen, später in Roth am See. Von da aus marschierte das Jägerregiment nach Naumburg und nahm unter General Normann mit einer Schwadron am 17. Juni bei Kitzen an dem tragischen Gefecht gegen die Lützower teil. Während des Waffenstillstandes wurden die Königsjäger dem VI. französischen Armeekorps unter Marmont zugeteilt. Peter focht am 11. September in dem unglücklichen Gefecht bei Kamenz mit, bei dem das Regiment 210 Leute verlor. In der Völkerschlacht ging Normann am 18. Oktober mit seiner Kavalleriebrigade zu den Verbündeten über. Um auch mal ein Streiflicht auf das innere Verhältnis der im engeren Sinne in Württemberg Beheimateten zu den nach 1806 eingestellten "Ausländern" (z. B. Suckow, s.u.) und die Denkweise des einfachen Mannes zu kennzeichnen, schiebe ich Peters` Bemerkungen über fahnenflüchtige Offiziere, die zu den Verbündeten übergingen, ein: "... am 13. Oktober traf die Brigade unweit Radefeld (bei Leipzig - TH) wieder mit einem feindlichen Korps zusammen. Eine Schwadron vom Leibregiment und die unsre unter Oberstleutnant von Moltke wurde vorwärts aufgestellt. Wir wurden stark kanoniert. In einem kleinen Indewalle (Intervall - TH) stand am rechten Flügel die Leibschwadron, auf dem linken unsre Schwadron von Moltke von den Königsjägern, bei der ich vor dem ersten Zug hielt. Bei der Leibschwadron hielt der Wachtmeister Böhm vor seinem Zug. Auf einmal wendet bei diesem der Schwadrons-Chef sein Pferd gegen seine Leute und fordert sie auf, mit ihm zu gehen zum Feind: die Franzosen seien jetzt doch hin! Schon war es auf dem Punkt, dass wenigstens der größte Teil gefolgt wäre, wenn sich nicht der Wachtmeister Böhm so ehrenvoll benommen hätte: dieser wandte ebenfalls sein Pferd gegen die Schwadron, zog eine seiner Pistolen und sagte: ´Wer herausreitet, den schieß ich nieder!´ Seine Offiziere hätten genug Zeit gehabt, ihren Kommandanten zu arretieren, aber diese rührten sich nicht, sie saßen da wie der Lump am Stecken (...), aber wo soll die Mannszucht hinkommen, wenn die Brigade im Feuer steht und jeder einzelne angeben will: jetzt reiten wir dahin oder dorthin, und der Soldat ist doch seinem König und der Fahne zum Gehorsam verpflichtet! Nach diesem Rittmeister von den Leib-Chevauxlegers sind uns noch zwei Offiziere während dem Kanonenfeuer zum Feind übergelaufen - natürlich Ausländer! Denn da der König Friedrich einen großen Adel in seinem kleinen Land haben wollte, so hat er alles aufgenommen, wenn einer von Norddeutschland daher gekommen ist, und hat ein ´v´ vor seinem Namen hingezeichnet. Der wurde dann unbedingt Offizier, und selten ohne Zulage. Offiziere, die im Felde erzogen worden waren, hätte man hinlänglich im Lande finden können, und jeder brave Untertanssohn hätte ihnen gern gehuldigt. Wenn Sie dann Mannschaften genug buxiert hatten, sind sie entweder desertiert oder man hat sie zum Land hinausjagen müssen."

Nun, die württembergische Kavallerie war übergegangen und marschierte nach der Völkerschlacht wieder in die Heimat, wo das Jägerregiment bei Bietigheim von Infanterie, Dragonern und Garde zu Fuß umstellt wurde und als symbolische Strafe für den Übergang bei Leipzig seine Waffen ablegen und mit den Mantelsäcken auf dem Rücken nach Ludwigsburg marschieren musste. Dort wurde das Regiment pro forma aufgelöst und neu gebildet. Anfang Januar 1814 ging Peter dann mit seinem neuen Regiment nach Frankreich und focht in den Gefechten bei Sens, Montereau, Arcis und Paris. 1815 war Peter bei der Belagerung Straßburgs dabei und blieb dann mit seinem Regiment bis 1818 als Besatzung in Frankreich.

Abbildung 3: Scherenschnitt Benedikt Peters als Zivilist, mit Medaillen

Nach seiner Pensionierung wurde Peter Gastwirt in Ulm. Seine Erinnerungen [12] diktierte er im Alter seiner Nichte, die damit fünf Schreibhefte füllte. Es scheint jedoch zu Reibereien zwischen den beiden gekommen zu sein, so dass Peter schließlich das sechste Heft selbst schrieb. Als Peter starb, erbte die Nichte die sechs Hefte und zerriss das sechste mit der Begründung, "da stehe etwas über sie drin und das gehe niemanden etwas an", so dass leider der Abschluss der Peter`schen Erzählung über die Feldzüge 1814/15 fehlt! Peter starb 1863.

Heinrich v. Roos: Mit Napoleon in Rußland

Heinrich von Roos, geboren 1780, wurde 1800 Militärarzt, 1805 Oberarzt. Als solcher nahm er an den Kriegen von 1805 bis 1809 teil. 1812 zog er mit dem 3. Jägerregiment zu Pferd "Herzog Louis" im II. Kavalleriekorps unter Montbrun in den russischen Feldzug. Das Jägerregiment Nr. 3 wurde der 16. Leichten Brigade unter General Subervie zugeteilt, zusammen mit den polnischen 10. Husaren und dem kombinierten preußischen Ulanenregiment, das aus dem preußischen Hilfskorps herausgezogen worden war und den Zug nach Moskau mitmachen musste. Divisionär war General Sebastiani.

Der Vormarsch ging, wie bereits mehrfach geschildert, über Leipzig an den Njemen. Nach dem Einmarsch in Russland hatten die Louis-Jäger am 5. Juli bei Swenzjany ihre erste Affäre, bei der Oberstleutnant Prinz Heinrich v. Hohenlohe-Kirchberg von den Russen gefangen genommen wurde. Die Russen ließen ihn einen Brief an sein Regiment schreiben, in dem er um Nachsendung von Wäsche und Geld bat, was dann auch folgerichtig an die russischen Vorposten übergeben und von diesen dem Prinzen ausgehändigt wurde - ein Zeichen für den Geist der Ritterlichkeit, der in den Armeen jener Zeit immer noch anzutreffen war. Im Gefecht von Inkowo westlich von Smolensk, bei dem die Russen Sebastianis Division am 8. August überfielen, verlor Roos` Jägerregiment auch noch seinen Kommandeur, Oberst Graf von Waldburg-Wurzach durch Gefangennahme. Während der Schlacht von Borodino errichtete Roos ein Feldlazarett vor der großen mittleren Schanze, in dem er mit seinen Gehilfen während des ganzen Tages Verwundete von verschiedenen Armeen, Württemberger, Sachsen, Westfalen und Franzosen, aber auch Russen, versorgte, soweit es die Umstände zuließen. Die Brigade Subervie hatte am 14. September unter den Augen Napoleons die Avantgarde der Großen Armee beim Einmarsch in Moskau, wozu wir im folgenden Roos selbst hören wollen. Zur Erläuterung seiner Erzählung [13], S. 91ff, sei noch angemerkt, dass sich am 14. das Gerücht verbreitet hatte, es sei ein Waffenstillstand geschlossen worden (tatsächlich war aber mit dem russischen Arrieregarden-Kommandeur nur vereinbart worden, Moskau kampflos zu übergeben).

"Mehr oder weniger war jeder von Siegerstolz erregt, und wo solcher sich nicht zeigte, fehlte es nicht an Offizieren und an alten Kriegern, die die Wichtigkeit des Ortes und der Zeit durch ernste Worte geltend zu machen wussten. Es war an unsere Division der strengste Befehl ausgegeben worden, dass unter keinem Vorwand, bei unausbleiblicher Todesstrafe, es niemand wagen solle, abzusitzen, oder aus den Reihen zu reiten. Uns Ärzten wurde dieses ebenso nachdrücklich eingeschärft, als den Linien selbst, und wir fanden es für gut, diesem Befehle Gehorsam zu leisten. Während wir die Straße bis zum Flusse Moskwa durchritten, war keine menschliche Seele von Einwohnern zu sehen. Die Brücke war abgerissen, wir ritten durchs Wasser, das die Kanonen bis zur Achse und unsere Pferde bis über die Knie benetzte. Jenseits des Flusses trafen wir einige Menschen an, die unter ihren Türen und Fenstern standen, jedoch schienen sie nicht sonderlich neugierig zu sein. Weiterhin fanden sich schöne Häuser aus Stein und von Holz aufgeführt, mitunter auch Herren und Damen auf den Balkonen. Unsere Offiziere salutierten freundlich; es wurde artig wieder gegrüßt; doch sahen wir immer noch sehr wenig Einwohner, und bei den Palästen nur Leute, die wie Dienerschaft aussahen. Tief in der Stadt trafen wir auf müde russische Soldaten, Nachzügler zu Fuß und zu Pferde, auf nachgebliebenen Bagagewagen, graue Schlachtochsen und dergleichen. Alles dieses ließ man passieren. Unser Marsch ging langsam mit vielen Krümmungen durch die Straßen, in denen die Menge der Kirchen, ihre uns fremde Architektur, besonders die Mehrzahl der Türme und deren äußerer Schmuck, sowie auch manche schöne Paläste, mit Gärten umgeben, unsere Aufmerksamkeit auf sich zogen. Wir kamen über den Marktplatz, fanden dessen hölzerne Buden offen, die Waren in Unordnung zerstreut und auf der Straße herum liegend, als ob Plünderer vor uns da gehaust hätten. Unser Zug ging sehr langsam vorwärts; öfters wurde Halt gemacht, und während solchem bemerkten und witterten die Unsrigen, dass die in den Straßen liegenden, nachgebliebenen und schlafenden Russen Branntwein in ihren Feldflaschen hatten. Da sie nicht absteigen durften, so wussten sie mit den Spitzen ihrer Säbel die Riemen, mit denen dieselben an die Tornister befestigt waren, abzuschneiden und die Blechflasche mit den an den Säbelspitzen eingefeilten Häkchen zu sich aufs Pferd zu bringen. Auf diese kunstgewandte Weise erhielt man Branntwein, der seit geraumer Zeit eine große Seltenheit war. Murat ritt an unsern Reihen bald rück- bald vorwärts, war äußerst ernst und tätig, und wo er nicht selbst hinkam, da waren seine Blicke. Er war an der Spitze, als wir zwischen großen, alten Gebäuden am Arsenale anlangten. Dieses stand offen, und Menschen verschiedener Art, meist von bäuerischem Aussehen, trugen Waffen hinaus, andere drängten sich hinein. In der Straße und auf dem Platze, wo wir jetzt Halt machten, lagen viele solche meistens neue Waffen verschiedener Art umher. Es kam unter der Pforte des Arsenals zu zänkischem Wortwechsel der Adjutanten des Königs (Joachim Murat. TH) mit denen, welche Waffen heraus trugen. Von den ersteren ritten einige hinein und der Wortwechsel wurde sehr laut. Mittlerweile wurde bemerkt, dass auf dem Platze hinter dem Arsenal viel Volk in lärmender Unruhe versammelt war. Dieses und das, was am Arsenal vorging, veranlasste den König, am Eingang zu dem Platze unsere Kanonen aufführen und losbrennen zu lassen. Drei Schüsse waren nur nötig, und der Volkshaufe zerstreute sich in unglaublicher Eile nach allen Richtungen hin. (...) Es war die Ordnung an diesem Orte wieder her gestellt, und ruhig ging unser Marsch weiter durch die Größte der Städte, die ich je passierte. Mit und neben uns gingen, ritten und fuhren noch viele zur russischen Armee Gehörige zu demselben Tor hinaus, dem wir zuritten. Alle zogen wie wir friedlich ihren Weg. Nur ein russischer Offiziersbedienter musste, so sehr er sich auch weigerte, absitzen und seinen wunderschönen Grauschimmel, der fortan bei uns blieb, im Stiche lassen. Am Tore aber, zu dem wir hinaus mussten, befanden sich zwei Kosaken zu Pferde, die viel gegen unser Hinauspassieren einzuwenden hatten und es durchaus nicht zugeben wollten. Jetzt ging freundlich die Sonne unter, die am trüben kalten Morgen sich spät erhoben hatte. Mehr als drei Stunden hatte unser Durchmarsch gedauert, während mit jedem Schritte und zu jeder Stunde des Tages unsere Hoffnung zu dem uns so notwendigen und erwünschten Frieden wuchs und unsere Gemüter von der zukünftigen Ruhe süß träumten. Diese Empfindungen wurden noch dadurch belebt, dass wir, als wir ins Freie hinaus kamen, mehrere russische Dragonerregimenter teils in Ordnung aufgestellt, teils langsam vorüber marschieren sahen. Wir stellten uns mit den friedlichsten Absichten ihnen nahe gegenüber auf. Sie zeigten gleiche Gesinnungen, Offiziere und Soldaten näherten sich, so gut sie konnten. Dieses dauerte aber nicht lange, es kam ein russischer Offizier von hohem Range mit seinen Adjutanten angesprengt und verbot diese Unterredungen ganz ernsthaft. Wir blieben, die Russen zogen langsam weiter."

Die Friedensträume waren geplatzt wie eine Seifenblase - Roos` Regiment musste der abziehenden russischen Armee auf der Kasan`schen Straße weiter Richtung Osten folgen. Der Brand Moskaus, das man im Rücken hatte, weckte allgemein schlimme Vorahnungen. Hinter dem Städtchen Bogorodsk verloren sich die Spuren der Russen, da Kutusow unerwartet einen Rechtsabmarsch angetreten hatte, um sich dann mit seinem Heer südlich von Moskau wieder zu setzten, dort Verstärkungen an sich zu ziehen und die reichen südlichen Provinzen Russlands zu schützen. Die französisch-alliierte Avantgarden-Kavallerie machte kehrt und zog ebenfalls in den Süden Moskaus. Stete Gefechte mit der russischen Reiterei, wiederholte Kosakenüberfälle, Mangel an Verpflegung und Ruhe brachten die alliierte Kavallerie immer mehr herab, Anfang Oktober konnten die Pferde bereits nur noch im Schritt reiten, wie Roos berichtet. Die Verwundeten, darunter viele mit Wunden aus mehreren Gefechten, mussten mitgenommen werden, da man sie nirgends zurück lassen durfte. Viele Reiter hatten 10-15 Wunden, ein Jäger wies sogar 24 Pikenstiche auf! Am 4. Oktober, bei Spas-Kuplja, griffen die Russen wieder an und nahmen u.a. fünf Offiziere der Louis-Jäger gefangen; die Division Sebastiani ging zurück und bezog ein elendes Lager am Flüßchen Tschernischnja, von Roos "Hungerlager" genannt, in dem selbst Murat sich von Hunden und Katzen ernähren musste. Am 18. Oktober kam der Umschwung, die Russen ergriffen die strategische Offensive. Die Louis-Jäger waren freilich kaum noch existent, da nur noch der Kommandeur Oberst v. Milkau, zwei Stabsoffiziere, ein Rittmeister, fünf Leutnants, vier Wachtmeister, fünf Unteroffiziere und 16 Jäger (34 Pferde) sowie ein Oberarzt (Roos), ein Unterarzt, ein Krankenführer, zwei Fahnenschmiede und ein Offiziersdiener (sieben Nichtkombattanten) bei den Fahnen waren. Die Louis-Jäger wurden nun in den Strudel des Rückzugs der Großen Armee, die am 19. Oktober aus Moskau abzog, gerissen. Roos gelang es, noch bis zur Beresina zu kommen. Dort wurde er nach fünf vergeblichen Versuchen, über die Brücken zu kommen, von Kosaken gefangen genommen. Da er Arzt war, wurde er aber nicht mit einem Gefangenentransport ins Landesinnere gebracht (was für die meisten der mehr als 30.000 Gefangenen von der Beresina den sicheren Tod bedeutete), sondern konnte russische Dienste annehmen und arbeitete dann im Lazarett von Schützkow, wo er an Typhus erkrankte, und danach im Hospital von Borissow. Anfang 1814 wurde Roos nach Petersburg in das Hospital der Landtruppen versetzt. Nach dem Friedensschluss von Paris wollte er in die Heimat entlassen werden, ließ sich jedoch überzeugen, in Russland zu bleiben und erhielt darauf hin im August 1814 von König Friedrich I. von Württemberg die erbetene Erlaubnis dazu. Allerdings war er schon 1813 aus allen Listen gestrichen worden, da man zu Hause seinen Tod an der Beresina angenommen hatte. 1815 erschien in den russischen Zeitungen eine Aufforderung der württembergischen Regierung an alle ehemaligen württembergischen Gefangenen in Russland, nach Hause zurückzukehren, bei Androhung des Verlustes aller Ansprüche und allen Vermögens. Roos forderte darauf hin seine Entlassung aus dem Hospital der Landtruppen, und bat den König von Württemberg um Wiederanstellung oder die Erlaubnis, auch ferner in Russland bleiben zu dürfen. Letzerer erfüllte das Gesuch um Wiederanstellung nicht, gestattete aber Roos in Russland zu bleiben. Viele Jahre später verfasste Roos dann seine Erinnerungen (sein Todesjahr konnte ich nicht ermitteln).

Karl v. Suckow: Aus meinem Soldatenleben

Suckow erblickte 1788 in Mecklenburg das Licht der Welt. Da damals der mecklenburgische Adel seine Söhne oft in der preußischen Armee Dienst nehmen ließ, musste auch Suckow als Dreizehnjähriger in Berlin die Armee eintreten. Aufgrund seiner noch geringen Körpergröße wies in der General v. Götz als für sein Regiment untauglich ab, es gelang Suckow mit Hilfe eines Verwandten jedoch, beim General v. Larisch zu überzeugen und so wurde er als sogenannter überkompletter Junker in das Regiment Alt-Larisch (Nr. 26) eingestellt. Die humorvoll geschriebenen Erinnerungen vermitteln uns ein lebendiges Bild vom Berliner Garnisonleben der altpreußischen Armee kurz vor der Katastrophe von 1806. Suckow schildert "seine" Soldatenfamilie, die Familie eines Korporals seines Regiments, bei der er mit anderen logierte. Der Korporal wies ihn auch in die Grundlagen des Dienstes ein und bezog für alles ein geringes Entgelt. Interessant sind auch die Darstellungen der alljährlichen Revuen, des Wachdienstes und die Schilderung der sorbischen Rekruten, die dem Regiment zugingen (in Berlin standen acht Infanterieregimenter, deren Kantone sämtlich außerhalb lagen). Mit sechzehn Jahren (1804) wurde Suckow zum Fähnrich, dem ersten Offiziersdienstgrad, ernannt, 1806 zum Sekondelieutenant. Bei Jena musste Suckow als jüngster Leutnant die umfangreiche Bagage des Regiments kommandieren, d.h. er nahm nicht am Kampf teil. In den Strudel des Rückzugs gerissen, gelangt er mit dem noch vorhandenen Rest der Bagage nach Magdeburg, wo er die Überbleibsel des Regiments trifft. Von dort sollen diese nach Berlin gehen, ziehen sich aber dann nach Mecklenburg, wo sie zum Blücher`schen Korps treten und dann den Rückzug bis Lübeck mitmachen. Dort gerät Suckow in Gefangenschaft und muss mit einem Gefangenentransport nach Frankreich abgehen, da das Detachment von Alt-Larisch außerhalb Lübecks stand und nicht in die Kapitulation inbegriffen war (die inbegriffenen Offiziere durften dagegen auf Ehrenwort in ihre Heimatorte zurück kehren). Da Suckow in Lübeck bei einem befreundeten Bankier eine größere Geldsumme erhalten hatte, durfte er den Gefangenentransport mit einer Namensliste von Offizieren aus Alt-Larisch verlassen, um in Berlin die Erlaubnis zur deren Rückkehr in die Heimatorte zu erlangen. Durch Bestechung eines Schreibers in der französischen Kommandantur von Berlin gelang dies auch, so dass Suckow nach Wismar zu seinen Eltern reisen konnte. Dort verlebte er (wie so viele ehemalige preußische Offiziere) eine traurige Zeit, ohne zu wissen, was aus ihm werden solle. In dieser Situation kam ihm zu Ohren, dass der württembergische König (möglichst adlige) Offiziere für sein in der Vergrößerung begriffenes Heer suche, und so trat Suckow in die württembergische Garde du Corps ein, die ein Jugendfreund seines Vaters kommandierte. Die Erinnerungen von Johann v. Borcke (eines früheren Regimentskameraden Suckows) enthalten eine Rangliste des Regiments Alt-Larisch, in der angegeben wird, dass Suckow am 11.05.1807 in württembergische Dienste trat, "ohne den Abschied genommen zu haben, weshalb ihm laut AKO vom 26.11.1808 der Desertionsprozess gemacht werden soll" [14]; S. 359f. Der Prozess wurde aber am 21.04.1809 niedergeschlagen und Suckow der Abschied erteilt.

1811 wurde Suckow zum 4. württembergischen Linieninfanterieregiment nach Schorndorf versetzt (wo auch der bereits erwähnte Leutnant Kurz und der im folgenden besprochene Soldat Walter standen), mit dem er dann auch in den russischen Feldzug ging. Suckow gelangte bis Moskau (auch er schildert eindringlich die Strapazen des Vormarsches) und trat dann gemeinsam mit dem Rest des württembergischen Kontingents den Rückzug an (da die Kader schon so stark geschmolzen waren, konnte Suckow nicht planmäßig eingereiht werden und ging als einer der vielen "Isolierten" zurück). Vor Smolensk wurde Suckow von einem höheren Offizier der Befehl erteilt, bei einer steckengebliebenen Trainkolonne zu bleiben und dafür zu sorgen, dass die Wagen einen Berg hoch kämen. Lassen wir ihn selbst erzählen [15]; S. 255ff, wie er sich dieses Auftrages entledigte und welche Wechselfälle des Schicksals im Kriege vorkommen.

"Während ich nun überlegend, wie ich dem mir gegebenen Befehl entsprechen könne, trostlos neben diesem mir so verhängnisvollen Fourgon stand, nahten sich als wahre Helfer in der Not zwei unserer Stabsoffizieren, beide von mir wohlgekannt (...) Beiden Vorgesetzten klage ich meine Not und bat um deren Rat. Derselbe lautete nach eingenommenen Augenschein dahin, dass ich mich aller weiteren, voraussichtlich erfolglosen Bemühungen enthoben betrachten und demnach meinem Fourgon getrost für immer Valet sagen dürfe. (...) Aber nun entstand die Frage: ´Was enthält dieser Fourgon?´, denn musste man auch diesen zur gefälligen Verfügung der Kosaken stellen, so konnte doch sein Inhalt je nach seiner Beschaffenheit vielleicht uns allen sehr nützlich sein. Da aber die beiden Begleiter des Wagens darüber keine Auskunft geben konnten, indem derselbe verschlossen war, so befahl mir der Oberst v. Mundorf, ihn gewaltsam öffnen zu lassen, wozu ich denn wieder mal die Axt, wie schon gesagt, witzigerweise ´Hauptschlüssel´ von unsern jungen Leuten getauft, in Requisition setzen musste. Das Schloss sprang auf, der Fourgondeckel wurde gehoben, und siehe da! Mehrere Säckchen, gefüllt mit Reis, und ein Fäßchen mit jenem roten Likör, Ratafia, von welchem die Armee bei ihrem Einmarsch in Moskau so große Vorräte fand, erfreuten uns durch ihre nicht geahnte Anwesenheit. Jetzt ging es unter der Autorität der Vorgesetzten an das Verteilen dieses köstlichen Fundes, wobei wir, wie selbstverständlich, das ´jeder ist sich selbst der Nächste´ nicht vergaßen. Auch den beiden Begleitern des Wagens wurde reichlich gegeben und hierauf an jeden Württemberger davon ausgeteilt, dessen Glücksstern ihn gerade in unsere Nähe führte. Unter diesen befand sich denn unter anderen auch mein wahrer Unglücksstern, der Regimentsquartiermeister Alber des königl. Leibchevauxlegersregiments, der mich ebenfalls um etwas von diesem Proviant bat, als derselbe, bis auf ein Säckchen voll, welches ich bei mir behalten hatte, vergriffen war. Er flehte so sehr, sein Äußeres beurkundete nur zu deutlich die Dringlichkeit seiner Bitte, als dass ich es hätte über das Herz bringen können, ihn abzuweisen. Ich erklärte mich deshalb bereit, seiner Bitte zu entsprechen, wenn er anders mir bezeichnen könne, wo er mein Geschenk bergen wolle; denn das letzte noch anwesende Säckchen (alle anderen waren mitsamt ihrem Inhalt verschwunden) müsse ich notwendig beanspruchen, um meinen Reis darin aufbewahren zu können. Sehr erfreut über meine kameradschaftlichen Gesinnungen versicherte er, sein Pferd mit Gepäck in der Nähe zu haben, und dankbar werde er es anerkennen, wenn ich ihm für einige Augenblicke meine Dienstmütze - das sogenannte bonnet de police -, welche ich bei mir trug, zur Verfügung stellen wolle, um darin mein Geschenk zu seinem Pferde zu tragen, indem er selbst ja nur ein kleines, wenig dazu geeignetes Käppchen als Kopfbedeckung habe. Ich entsprach auch diesem Wunsch, mit der Mahnung, mir mein Eigentum möglichst schnell zurückzubringen. Er versprach es, ging fort, und - Regimentsquartiermeister und Dienstmütze sah ich niemals wieder. Wohin Alber gekommen, Gott weiß es! Er war und blieb von diesem Augenblick an vermisst und wurde auch in dieser Kategorie in jenen Listen, welche im Vaterlande über die Verluste des königl. Armeekorps in Russland später erschienen, aufgeführt. Da stand ich nun mitten in Weißrussland, jetzt durch Schnee und Eis auch ein weißes Rußland, bei etwa 15 bis 16 Grad Kälte, chapeau pas! Was war zu tun, wenn ich nicht meine entblößten Ohren, mein, wie unter uns jungen Offizieren damals allgemein gebräuchlich, zur Verhütung gewisser Übelstände ganz kurz geschorenes Haupt zu lange dem Einflusse dieser denn doch etwas zu strengen Temperatur aussetzen wollte? Schnell knüpfte ich deshalb mein seidenes Tuch vom Halse und umhüllte damit den Kopf. Wohl musste ich nun die Fußreise von Smolensk bis Wilna mit entblößtem Halse machen und manchen Scherz von meinen Kameraden hören über mein originelles Kostüm (scharlachroter Sammetpelz, schwarzverhülltes Haupt); aber hatte ich denn eine andere Wahl?"

In Wilna wäre Suckow zu guter Letzt beinahe noch von Kosaken gefangen genommen worden, da er in dem bereits erwähnten Kaffeehaus Lichtenstein unter dem Billardtisch eingeschlafen war und den Abmarsch seiner Kameraden verpasst hatte. Es gelang ihm jedoch, sich unauffällig aus der Stadt zu schleichen, durch deren Straßen schon die Kosaken jagten, und die Grenzstadt Kowno zu erreichen. Über das Eis des Njemen krabbelte er auf allen Vieren zum jenseitigen steilen Ufer - und war gerettet. Anfang Januar traf er in Graudenz, dem Sammelpunkt der Württemberger, ein und gehörte aufgrund eines erfrorenen Fußes zu den Glücklichen, die weiter in die Heimat reisen durften. Nachdem er noch in Meißen am Typhus erkrankt war, kam er nach weiteren sechs Wochen wieder in Schorndorf an. Außer ihm kamen vom Offizierskorps des 1. Batl. des 4. Regiments nur die Hauptleute v. Brecht und v. Klapp sowie Oberleutnant Baumann aus Rußland zurück (Kurz war ja, wie wir gehört haben, in Wilna gefangen worden); vom 2. Batl. des Regiments, stationiert in Gmünd, kein einziger!

An den Feldzügen des Jahres 1813 nahm Suckow ebenfalls teil, wie aus eingestreuten Bemerkungen in seinen Erinnerungen zu entnehmen ist. Laut der oben erwähnten Rangliste von Alt-Larisch wurde Suckow 1836 Oberstleutnant im 6. Württembergischen Infanterieregiment und 1842 Oberst des 8. Regiments. Er starb 1863.

Jakob Walter: Denkwürdige Geschichtsschreibung über die erlebte Militärdienstzeit des Verfassers

Walter wurde 1788 geboren. Seine Erinnerungen [23] beschreiben mit einfachen Worten die Leiden des "kleinen Mannes", der als Konskribierter an den Feldzügen von 1806/07 gegen Preußen, 1809 gegen Österreich und 1812 gegen Russland als einfacher Soldat teil nehmen musste (zwischenzeitlich wurde er jeweils ins Zivilleben entlassen). 1815 wurde Walter Mauer- und Steinhauermeister in Ellwangen, 1817 erhielt er Bürgerrecht und 1840 wurde er zum Stadtrat gewählt. Er starb 1864. Das Porträt zeigt ihn vermutlich als Offizier des Bürger-Militärs nach 1835.

Abbildung 4: Jakob Walter

Vom militärgeschichtlichen Standpunkt bringen Walters Erinnerungen nicht viel Neues, wie auch leicht erklärlich bei dem eingeschränkten Sichtkreis des Verfassers. Nichtsdestotrotz sind sie interessant zu lesen und bieten viele Details aus zahlreichen Gefechten und anderen Begebenheiten. Hervorhebenswert ist auch die Geschichte des Manuskripts: zwei Söhne Jakob Walters wanderten nach Amerika aus; Sohn Franz nahm von einem späteren Besuch in der alten Heimat (wo er auch heiratete) zwei Porträts der Eltern und das Manuskript seines Vaters mit. Später wurden zwei amerikanische Historiker darauf aufmerksam; 1938 wurde es durch die Universität von Kansas veröffentlicht.

Wilhelm v. Woellwarth: Kurze Darstellung der Ereignisse vom Ausmarsche aus dem Königreich bis zum Bivouac bei Minkupie, 2 Märsche vom Niemen entfernt

Woellwarth, Jahrgang 1763 und Offizierssohn aus altem Rittergeschlecht, war zuerst österreichischer Offizier und nahm als solcher an den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich teil. Da die reichsritterlichen Herrschaften nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 unter württembergische Oberhoheit kamen, verpflichtete König Friedrich seine neuen Untertanen, aus fremden Diensten auszuscheiden. Woellwarth trat demzufolge in die württembergische Armee ein, wurde am 11.01.1808 Generalmajor und bereits 1809 Generallieutenant.

Woellwarths hier benutzte Darstellung [16] ist nur 19 Druckseiten lang; ich habe sie hier dennoch aufgenommen, da mir sonst keine Schrift eines württembergischen Generals vorliegt (abgesehen von einem Brief von Generalmajor Roeder, s.u.). Sie ist im wesentlichen eine Rechtfertigungsschrift für den König, die die Vorgeschichte von Woellwarths Abreise von der Armee im Juni 1812 (noch vor Ausbruch der Feindseligkeiten) erklären sollte, und entstand noch auf der Rückreise, unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse. Bei der Rückkehr nach Württemberg wurde Woellwarth zunächst arretiert, dann aber bald rehabilitiert. Der Vorgang ist selbst etwas unklar. Sicher ist, dass die württembergische Korpskavallerie, die im klassischen Divisionsverband unter Woellwarths Kommando (Brigaden Walsleben und Breuning zu je zwei Regimentern württembergische Kavallerie) ausmarschiert war, später mit französischen Regimentern untermischt und in zunächst vier Brigaden (Mouriez, Walsleben, Beurmann und Breuning) im III. Korps Ney umgebildet wurde. Später wurden daraus wieder zwei Brigaden (Mouriez und Beurmann), die allerdings recht groß geschnitten waren (drei bzw. 4 Regimenter). Ein württembergisches Regiment (3. Jäger) wurde, wie bereits bei Roos erwähnt, sogar zum II. Reservekavalleriekorps versetzt. Möglicherweise lag der Grund für diese Umorganisation darin, dass Napoleon den deutschen Generälen zum Teil misstraute und wichtige Kommandostellen lieber mit französischen Generälen besetzte. Für die württembergischen Generale hatte dies zur Folge, dass sie teilweise nur noch "nebenher liefen", d.h. bei den Brigaden standen, aber kein Kommando mehr hatten.

Woellwarth erhielt jedenfalls 1813 wieder ein Kommando, über die neu aufzustellenden Truppen, die gleichzeitig Württemberg decken sollten. 1815 und 1816 befehligte er die württembergischen Besatzungstruppen in Frankreich. Woellwarth starb 1839.

Weiterführende Literatur

Außer den oben ausführlicher besprochenen Erinnerungswerken gibt es natürlich noch eine Reihe anderer, die ich aber nicht auswerten konnte, da sie mir bisher nicht zugänglich waren. Wilhelm Kohlhaas, der Herausgeber von Wachtmeister Peters Erinnerungen, erwähnt einen Regimentskameraden Peters namens Johann Heinrich Franck, dessen Aufzeichnungen Teil einer 1911 erschienenen Familiengeschichte sind.

Abbildung 5: Johann Heinrich Franck

Auf die Erinnerungen des Karl v. Francois, der zeitweise in württembergischen Diensten stand, bin ich bereits in meinem Aufsatz über russische Memoiren eingegangen. Von Pabel, eigentlich Carl v. Martens, sind die "Denkwürdigkeiten aus dem kriegerischen und politischen Leben eines alten Offiziers" erschienen [17]. Von Generalmajor Roeder ist bei Holzhausen ein Brief an König Friedrich, geschrieben im Dezember 1812, als Faksimile abgebildet [18]. An weiteren Memoirenwerken sind zu nennen: Rotenhans "Denkwürdigkeiten eines württembergischen Offiziers" [19], Schlaichs "Briefe eines deutschen Offiziers während der Feldzüge in den Jahren 1812 und 1813" (die auch unter dem Titel "Interessante Scenen aus den Feldzügen von 1812 und 1813" erschienen) [20], sowie Yelins "In Rußland 1812" [21]. In den "Aufzeichnungen" des württembergischen Generals Grafen v. Bismark [22] finden sich leider nur wenige persönliche Erlebnisse eingestreut, so dass sie hier nicht relevant sind. Außerdem erwähnt Holzhausen handschriftliche Denkwürdigkeiten des Generals Stockmayer, die sich beim Erscheinen von Holzhausens Werk in Privatbesitz befanden.

Damit endet mein Aufsatz über die Württemberger. Sicherlich gibt es noch mehr lesenswerte Erinnerungswerke; es wäre schön, wenn diese hier von anderen Sammlerfreunden kurz vorgestellt werden könnten. Ebenso bin ich für Kommentare, Berichtigungen bzw. Ergänzungen stets dankbar. Schließlich würde es mich freuen, wenn jemand, der eines der mir noch fehlenden Werke besitzt, mir davon eine Kopie (gegen Kostenerstattung) anfertigen könnte. In diesem Fall bitte ich um vorherige Benachrichtigung.

Anmerkung der Redaktion:

Unter folgenden elektronischen Adressen können Sie mit Herrn Dr. Hemmann auch Kontakt aufnehmen:

Internet: www.Napoleonzeit.de

Postanschrift: siehe Inhaltsverzeichnis des Heftes

Literatur

  1. Hemmann, T., Wissenswertes zu deutschsprachigen Memoiren der Napoleonzeit. Memoiren von Kombattanten auf russischer Seite. Die Zinnfigur, 2000, 2001 (Dezember, Januar / Februar): S. 328-330, 20-25.
  2. Sauer, P., Napoleons Adler über Württemberg, Baden und Hohenzollern. Südwestdeutschland in der Rheinbundzeit. 1987, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer. 340 S.
  3. Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons, ed. Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart. 1987, Stuttgart: Edition Cantz. 1263 , 759 S.
  4. Roesler, Tagebücher aus den zehn Feldzügen der Württemberger unter der Regierung des Königs Friedrich. 1820, Ludwigsburg: Nast.
  5. Schneider, Erinnerungen der Württemberger aus den Feldzügen 1806 und 1807 in Schlesien. 1866.
  6. Die Württemberger im Russischen Feldzug 1812. Württembergische Volksbücher, ed. W. E. Lehrer-Unterstützungs-Verein. ca. 1912, Stuttgart: Verlag von Holland & Josenhans. 172 S.
  7. Die Württemberger in den Freiheitskriegen. Württembergische Volksbücher, ed. W. E. Lehrer-Unterstützungs-Verein. ca. 1913, Stuttgart: Verlag von Holland & Josenhans. 172 S.
  8. Faur, C. W. v. F . d. und F.v. Kausler, Mit Napoleon in Rußland. Blätter aus meinem Portefeuille, ed. O. Borst. 1987, Stuttgart: J. F. Steinkopf Verlag. 112 S.
  9. Koenig, W.v., Bericht über seine Teilnahme am russischen Feldzug, in Drei Schwaben unter Napoleon. Rußlandberichte eines Infanteristen, eines Leutnants, eines Generals, B. Hildebrand, Editor. 1987, Konrad Theiss Verlag: Stuttgart. S. 95-188.
  10. Kurz, K. G. F. v., Der Feldzug von 1812. Denkwürdigkeiten eines württembergischen Offiziers. Voigtländers Quellenbücher, ed. H. Kohl. 1912, Leipzig: Voigtländers Verlag. 246 S.
  11. Martens, C.v., Vor hundert Jahren. Aus vergilbten Pergamenten, ed. T. Rehtwisch. 1913, Leipzig: Verlag von Georg Wigand. 263 S.
  12. Peter, B., Wachtmeister Peter mit und gegen Napoleon, ed. W. Kohlhaas. 1980, Stuttgart: J. F. Steinkopf Verlag. 120 S.
  13. Roos, H. v., Mit Napoleon in Russland. Memoirenbibliothek, ed. P. Holzhausen. ca. 1900, Stuttgart: Verlag von Robert Lutz. LXIX, 269 S.
  14. Borcke, J. v., Kriegerleben des Johann von Borcke, weiland Kgl. Preuß. Oberstlieutenants, 1806 - 1815, ed. v. Leszczynski. 1888, Berlin: E. S. Mittler. 398 S.
  15. Suckow, K.v., Aus meinem Soldatenleben. Aus vergilbten Pergamenten. Eine Folge von Tagebüchern, Briefen und Berichten aus der Napoleonischen Epoche, ed. T. Rehtwisch. Vol. 2. ca. 1910, Leipzig: Verlag von Georg Wigand. 371 S.
  16. Woellwarth, W.v., Kurze Darstellung der Ereignisse vom Ausmarsche aus dem Königreich bis zum Bivouac bei Minkupie, 2 Märsche vom Niemen entfernt, in Drei Schwaben unter Napoleon. Rußlandberichte eines Infanteristen, eines Leutnants, eines Generals, B. Hildebrand, Editor. 1987, Konrad Theiss Verlag: Stuttgart. S. 189-199.
  17. Martens, C. v. (Pseudonym: E. Pabel), Denkwürdigkeiten aus dem kriegerischen und politischen Leben eines alten Offiziers. 1848, Livonien (Dresden, Leipzig).
  18. Holzhausen, P., Die Deutschen in Rußland. Leben und Leiden auf der Moskauer Heerfahrt. 1924, Berlin: Morawe & Scheffelt Verlag. 155, 260 S.
  19. Rotenhan, v., Denkwürdigkeiten eines württembergischen Offiziers aus dem Feldzuge im Jahr 1812. 1892, Berlin: Freiherr v. Rotenhan.
  20. Schlaich, Briefe eines deutschen Offiziers während der Feldzüge in den Jahren 1812 und 1813. 1819, Ludwigsburg.
  21. Yelin, C. L. v., In Rußland 1812. 1911, München: Gmelin. 99 S.
  22. Bismark, F. W. G. v., Aufzeichnungen des Generallieutenants Friedrich Wilhelm Grafen von Bismark. 1847, Karlsruhe: Verlag von Franz Nöldeke. 568 S.
  23. Walter, J., Denkwürdige Geschichtsschreibung über die erlebte Militärdienstzeit des Verfassers, in Drei Schwaben unter Napoleon. Rußlandberichte eines Infanteristen, eines Leutnants, eines Generals, B. Hildebrand, Editor. 1987, Konrad Theiss Verlag: Stuttgart. S. 9-94.