© Für das Manuskript: Dr. Gerhard Butze, Erdmannhausen, 2007
– Abdruck mit freundlicher Erlaubnis des Rechteinhabers –
– Bearbeitung und Einleitung von Ditmar Haeusler, Karlsruhe(andihaeu@t-online.de) –
– Die Abbildungen wurden freundlicherweise von Frau Brigitte Sachs zur Verfügung gestellt –
www.Napoleonzeit.de (© der Webseite: Thomas Hemmann, 2007)
Der Rittmeister Carl Friedrich Wilhelm
Butze 1782 – 1862
Einleitung
Das abenteuerliche
Leben des Rittmeisters Carl Friedrich Wilhelm Butzeaus einer Honoratioren-
familie aus
Sandau/Elbe wird im Rahmen dieses Auszugs aus der Butzschen Familienchronik
beschrieben. Das
Papier umfasst Butzes Verwicklung in Kattes Aufstand, Kontakte zu Dörnberg
und Schill, die
Teilnahme am Zug des Herzogs von Braun-schweig durch Norddeutschland
(mit der sogenannten
Schwarzen Schaar), einen Aufenthalt in England und Irland, den Feldzug
auf der spanischen
Halbinsel sowie eine Fahrt nach Sizilien.
Aus der Familie Butze
aus Sandau an der Elbe ging neben mehreren achtbaren preußischen
Beamten in der Person des Rittmeisters Carl
Friedrich Wilhelm Butze auch ein
bedeutender
Husarenoffizier
hervor. Der am 10. März 1782 in Sandau als Sohn des dortigen preußischen
Deich- und
Bauinspektors geborene Wilhelm Butze kam durch die Zeitumstände während der
Napoleonischen Kriege
zur Schwarzen Schar des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig-
Oels. Er nahm als
Kavallerist und Adjutant des Husaren-Regiments an dem legendären Zug
von Böhmen an die
Nordseeküste teil. In Sondermissionen hatte er Kontakte zu den Freikorps-
Offizieren Katte,
Dörnberg und Schill. Nach der Übernahme der Braunschweiger Truppe in
englische Dienste wurde
er im Peninsula-Krieg und in Süditalien eingesetzt und zum Rittmeister
befördert.
Nach der Rückkehr in
die Heimat heiratete er 1820 die von dem Amtshauptmann G. H. A. von
Strombeck zu Sisbeck
im Braunschweigischen geschiedene Dorothea Catharina Friederike geb.
Henniges. Das Paar
ließ sich in Helmstedt nieder. Kurz nach dem Tod seiner Frau im Jahre 1832
zog der von
Kriegsleiden geplagte Rittmeister Butze zu den Verwandten in Sandau. Nach
geduldig ertragenem
Leiden, zuletzt im Rollstuhl, starb er am 2. Juni 1852 in Sandau und wurde
daselbst in dem
Butzeschen Erbbegräbnis beigesetzt.
Die umfangreiche, bis
Ende des 17. Jahrhunderts zurückreichende und im Besitz der direkten
Nachfahren des
Rittmeister befindlichen Familienchronik Butze, dem die nachfolgend
abgedruckten Kapitel
über den Rittmeister Butze entnommen sind, stammt von dem einzigen,
1821 geborenen Sohn
des Rittmeisters, Gottfried Wilhelm Butze. Er war Jurist und preußischer
Verwaltungsbeamter,
der 1869 als Wirklicher Geheimer Ober-Regierungsrat am Oberlandes-
Kulturgericht in
Berlin in den Ruhestand trat und 1897 in Arolsen starb. Dem hier erstmals
veröffentlichten
Bericht über das abenteuerliche Leben des Rittmeisters Butze liegen dessen
Briefe und Erzählungen
zugrunde.
Der Rittmeister, der Begründer der jüngeren Linie, war lange Jahre der Glanz und Mittelpunkt
der Familie; auch die noch lebende zweite Generation der älteren Linie, denen er öfter hilfreich
unter die Arme griff, achteten ihn als das Haupt des ganzen Geschlechtes. Seine strenge Redlich-
keit, sein menschenfreundliches Wohlwollen und seine werkthätige Gutherzigkeit sicherten ihm
die Liebe und die Hochachtung Aller, welche mit ihm in Berührung kamen. Er konnte aber auch
heftig werden, und wenn es galt, kräftig durchzugreifen, so daß ihm nur mit Respekt begegnet
wurde.
Er war gezwungen, eine Zeitlang fremdländischer Unterthan zu werden; er starb wieder als Preuße,
wie er geboren war. Als er fortgetrieben wurde, saß Friedrich Wilhelm III. auf dem Preußi-
schen Throne, und regierte noch, als er wieder zurückkehrte.
Sein ereignisvolles Leben würde einer gewandteren Feder manchen Stoff zu spannenden Erzäh-
lungen bieten. Aber der Chronist läuft dabei Gefahr, Thatsachen mit Einbildungen zu verwi-
schen. Und der Rittmeister hat niemals zusammenhängende Mittheilungen über seine Erlebnisse
gemacht. Er verweilte zwar im engen Familienkreise bei manchen Ereignissen gern und wieder-
holt, kam aber wieder auf ganze Jahre niemals zu sprechen.
Er hatte während seiner langjährigen Krankheit Zeit genug, über sein Leben mit sich selbst zu
Rathe zu gehen; wenn er nicht allein war, so liebte er andere Unterhaltung, da er auch an den
Zeitereignissenbis in sein hohes Alter regen Antheil nahm. Die Tagebücher, welche er in seinen
jungen Jahren gewissenhaft geführt hatte, haben in Spanien die Franzosen sammt seiner ganzen
damaligen Bagage erbeutet; in späteren Jahren war das Schreiben erst recht nicht seine Sache,
verbot sich auch durch seinen körperlichen Zustand. Die nothwendigsten Briefe pflegte er auf
dem Knie, zuletzt am liebsten mit dem Bleistift zu schreiben. Nur zwei in Italien an Ort und Stel-
le verfaßte Berichte in Englischer Sprache haben sich erhalten.
.
Carl Friedrich Wilhelm Butze wurde am 10. Maerz 1782 abends um 10 Uhr im elterlichen Hause
zu Sandau geboren und am 15ten desselben Monates getauft mit den Zeugen:
1. Herr Deichhauptmann v. Treskow,
2. Herr Kammerrath Schmid,
3. Herr Baudirektor Stegmann,
4. Herr Zolldirektor v. Kleist,
5. Frau Bürgermeister Herper, geb. Kobs,
6. Frau Rathmannin Wegener, geb. Ordel.
Er war ein schöner Mann, groß und kräftig, aber wohl proportioniert gebaut, blond mit klaren
blauen Augen; seine Zeitgenossen erachteten ihn für den schönsten Mann seines Jahrhunderts.
Dazu hielt er auf ein geschmackvolles Äußere, war ein firmer Reiter und liebte schöne und
muthige Pferde, sodaß er in seiner kleidsamen Uniform in der That ein selten wohlgefälliges
Bild abgab. Noch in seinem Alter war er ein entschieden schöner Greis, wenn auch die frischen
Farben verblichen, das spärliche Haar und der kurz gehaltene Schnurrbart und Backenbart längst
weiß geworden waren. Auch ein schmerzlicher Zug, den die langen Leiden zuletzt seinem Ge-
sichte aufgeprägt hatten, wurde von seiner Freundlichkeit überstrahlt.
Seine Kindheit fiel noch in die Zopfzeit, er trug einen röthlichen Rock und frisiertes Haar mit
Haarbeutelchen.
Nach dem ersten Privatunterricht bezog er mit seinem älteren Bruder die Schule des Klosters
Unserer Lieben Frauen in Magdeburg. Gegen die Mitte des Jahrhunderts stand das Haus auf dem
Bürgplatze noch, wo sie gewohnt hatten, und er konnte seinem Sohn sogar die Fenster des Stüb-
chens zeigen. Die Talente waren ihm nicht in demselben Maße zu Theil geworden, wie seinem
älteren Bruder; er lernte nicht so leicht, hielt aber dafür um so fester, was er hatte; überhaupt
verrieth sein ganzes Wissen und Denken mehr den Sinn für das Praktische und Solide. Die Mu-
sik liebte er ebenfalls, aber nur zur leichten Erheiterung und Erholung; außer seiner schönen
Singstimme erlernte er nur das Waldhorn, während es sein Bruder auf allen Instrumenten fast
aus sich selbst bis zu einer gewissen Meisterschaft brachte.
.Er hat die Gymnasial Bildung nicht vollständig durchgemacht, da er für das Baufach bestimmt
wurde. Man rechnete wohl darauf, daß er einmal der Amtsnachfolger seines Vaters werden soll-
te, wie dieser seinem Vater und der wiederum seinem Vater gefolgt war. Aber das Verhängnis
wollte, anders. Carl Friedrich Wilhelm war bereits als Bauconducteur mit Messen, Zeichnen und
Rechnen hauptsächlich auf den Domänen und anderen Orten in dem Geschäftskreise seines Va-
ters beschäftigt, als die Französische Invasion hereinbrach. Ein Theil des Preußischen Heeres
ging mit unendlicher Bagage bis auf Frauenzimmer, Wiegen und Papageibauern bei Sandau
über die Elbe den Franzosen entgegen. So schwerfällig wie ihr Troß, so übermüthig waren die
Soldaten selbst, sie hielten die Franzosen nicht einmal so viel werth, um sie todt zu schießen,
todt pädden (treten) wollten sie sie, wie die derben Märker sagten. Die Schlacht bei Jena war
verloren, dieselben Heerestheile kamen wieder bei Sandau über die Elbe zurück, aber wirr
durcheinander, ohne Waffen und in der hastigsten und übereilten Flucht, die noch lange keinen
Halt bekam. Die Hälfte von Preußen hatte abgetreten werden müssen, und die Elbe bildete die
Grenze gegen das neugeschaffene Königreich Westphalen. Mit der Zeit regte es sich gewaltig.
Der vertriebene Herzog von Braunschweig rüstete in Böhmen sein schwarzes Freicorps, um un-
ter Österreichischen Fahnen gegen Napoleon loszubrechen. Schill stand auf und es hatte sich un-
ter dem General von Dörnberg eine Verschwörung ausgebreitet, um den König Jérome in Cassel
aufzuheben, und das durch Verrath seines Commandanten übergebene Magdeburg zu überum-
peln. Zu den Mitwissern dieses letzten Planes gehörte ein v. Katte, welcher in dem Hause des
Bauinspektors häufig ein- und ausging. Er bestimmte den jungen Baukondukteur leicht und der-
selbe trat als Leutnant in die Kattesche Reiterschaar. Sie fielen in die Altmark ein und gelangten
ohne Widerstand nach Stendal, wo sämtliche Westphälische Kassen in Beschlag genommen
wurden.
Der Leutnant Butze war auch mit einer solchen Execution beauftragt, aber der Rendant verwei-
gerte beharrlich die Kassenschlüssel. Infolge einiges Säbelgerassels flüsterte die Frau Rendantin
dem Leutnant zu, daß ihr Ehemann die Schlüssel in seiner Schlafrocktasche verwahre. Damit
wurde alles peinliche Verfahren überflüssig, und der Rendant schien froh zu sein, daß er das
geld in Preußischen Händen sah, ohne seine Westphälische Pflicht verletzt zu haben. Auf diese
Weise wurde eine ziemliche Menge Geld zusammengebracht, es hat aber Niemand erfahren, wo
dasselbe nach der baldigen Zerstreuung der Katteschen Schaar geblieben war.
(Anmerkung: In dem historischen Roman:“Die Vorkämpfer der Freiheit“ von Friedrich Fried-
rich wird ausführlich erzählt, daß der damalige Bauconducteur Butze nach den vom Leutnant
von Hirschfeld beschafften Wachsabdrücken die Festungsschlüssel von Magdeburg in Stendal
anfertigen ließ, was bei der Wachsamkeit der Westphälischen Polizei mit großer Gefahr ver-
knüpft war, und daß er Kattes Anzug von Werben her, in Stendal, welches von Westphälischen
Gendarmen besetzt war, öffentlich unter Trommelschlag ausrufen ließ:“Katte wird ausgetrom-
melt“, wie damals in Stendal Bürger sagten. Die letzte That hat der nachmalige Rittmeister
Butze öfter scherzhaft erwähnt, des ersteren Ereignisses mit den Schlüsseln aber bei seinen
bruchstückweisen Erzälungen niemals gedacht. Der Roman, in welchem der Name stets Butz
geschrieben, ist abgedruckt in der Romanzeitung Berlin bei Otto Lanke, Jahrgang 1860, Band
IV, Seite 5/9 ff.)
Am anderen Tage rückten sie aufWolmirstedt, wo sie das Hauptkorps finden sollten, es war
aber Niemand da. Der ganze Anschlag war durch einen Kammerjunker von Gail am Westphä-
lischen Hofe in Cassel, einem Deutschen, verrathen. Dörnberg hatte sich mit Mühe durch
schleunige Flucht retten können, aber alle Rüstungen waren unterbrochen. Davon wußten die
Katteschen einstweilen Nichts. Der Leutnant Butze, durch seine Geschäfte der Gegend auf das
genaueste kundig, wurde ohne Begleitung zum Recognosciren ausgeschickt, er stieß nirgend
auf Mannschaften und ein Förster, zu dem er mit hereinbrechender Nacht herangeritten, versi-
cherte ihm, daß sich in dem ganzen großen Walde Nichts gerührt habe. Der Leutnant Butze,
immer noch in der Hoffnung, die befreundeten Schaaren irgendwo treffen zu müssen, ritt weiter
und weiter, bis er im Morgengrauen die Thürme Magdeburgs vor sich sah. Da stieg ihm der
Verdacht auf, daß etwas Unheimliches geschehen sei, er mußte sich zu retten suchen, da seine
Uniformbeinkleider durch den übergeworfenen Civilrock nicht zu verdecken waren. Der Rück-
weg schien ihm am bedenklichsten, und er entschloß sich, auf den ihm wohlbekannten Wegen
und Stegen nach Burg zu reiten, dessen Bürgermeister zu dem damals weitverbreiteten Tugend-
bunde der Patrioten gehörte. Die ganze Kattesche Schaar löste sich auf und Jeder suchte sich so
gut zu retten, als er vermochte. Gleich beim Einritte in Burg hatte er eine neue auffällige Be-
gegnung, der ihm wohlbekannte Domherr v. Lewetzow zu Cläden i.d. Altmark kam die Straße
entlang und ignorirte den Reiter in einer ganz augenfälligen Weise, der letztere konnte aller-
dings nicht wissen, daß ihm v. Lewetzow dadurch das Leben rettete.
Kaum bei dem Bürgermeister eingetreten, erhielt er die niederschlagende Nachricht, daß von
Lewetzow von dem Französischen Gouvernement in Magdeburg die Verhaftsbefehle gegen alle
aus den aufgefangenen Papieren bekannt gewordenen Aufständischen überbracht hatte. Preußen
war damals zu einem von Napoleon geduldeten Vasallenstaate herabgesunken; es mußte Alles
ausführen, was Napoleon und sein neugebackener Unterkönig Jérome wünschten und befahlen,
selbst gegen die eigenen Landeskinder, denen nur die laxe und widerwillige Ausführung von
solchen Anordnungen zustatten kam. Also unser Carl Friedrich Wilhelm war geächtet; an allen
Ecken wurde sein Steckbrief angeheftet, die Patrioten waren Landesverräther und sollten als
Straßenräuber behandelt, d.h. nach kurzem Prozesse erschossen werden. Was sollte nun der
arme Flüchtling beginnen? In Burg war seines Bleibens natürlich nicht, nach seiner Heimath
konnte er sich erstrecht nicht wenden; denn er sah sehr richtig voraus, daß er dort am ehesten
gesucht werden würde. Also in der That umschlichen auch noch lange Zeit nachher des
Abends Preußische Gendarmen und Französische Spione das väterliche Haus, um auszukund-
schaften, ob sich der Verfolgte dort verberge oder durch die geschlossenen Fensterläden ein
unbedachtes Wort über seinen Aufenthalt zu erlauschen. Die geängstigte Familie hatte weder
Tag noch Nacht Ruhe, aber der geliebte Sohn, den sie sonst tausendmal herbeigesehnt hatten,
stellte sich jetzt glücklicher Weise nicht ein. Er war inzwischen nach Genthin geritten, wo ein
befreundeter Kaufmann einen Paß für seinen Diener ausstellen lassen mußte, der im Namen und
auch im Signalement für den Exleutnant gefälscht wurde. Zu diesem Passe bekam er ein Paket
Tuchproben, womit er sich als Commis voyajeur nach Berlin auf den Weg machte. Das Reiten
der Handelsreisenden war damals etwas ganz Gewöhnliches und konnte nicht auffallen; die
Gefahr lag nur in den Fälschungen des Passes; indessen er kam ohne Unfall nach Berlin. Unter-
wegs in einem einsamen Walde bei Brandenburg trat ein Bauer an ihn heran und siehe da, es
war der Herr von Katte. Sie hatten sich aber kaum begrüßt, als sich in der Ferne auf dem Wald-
wege ein Piquet Soldaten zeigte. Der verkleidete Bauer sprang in das dichte Gehölz zurück, die
Soldaten hatten Nichts bemerkt und ließen den anscheinenden Handelsreisenden unbehelligt
passieren, aber von Katte hatte es vorgezogen, sich in den tiefen Wald zurückzuziehen, er kam
nicht wieder zum Vorschein und die beiden Waffengefährten haben sich auch nicht wieder ge-
sehen.
In Berlin gefiel es dem Flüchtlinge nicht schlecht, er hielt sich auch in dem Herzen des Preu-
ßischen Staates, für welchen er mit seinem Blute hatte eintreten wollen, für sich. Vergebens
wurde er von mehreren Seiten gewarnt; er blieb und blieb, da nahm sich ein Ehrenmann – es
war, wenn dem Schreiber dieses sein Gedächtnis nicht trügt, der nachherige Oberconsistorial-
rath Weiss – der Sache an und beförderte den gewesenen Katte’schen Lieutnant unter der Firma
eines Gehülfen auf einer geistlichen Inspektionsreise nach Schlesien. Die Sache war mittlerwei-
le gefahrvoller geworden; wahrscheinlich hatte Napoleon schärfere Nachforschungen verlangt,
denn bisher war Niemand von allen Geächteten entdeckt. Carl Friedrich Wilhelm mußte bei der
Ausfahrt aus Berlin Zahnschmerzen erheucheln und das Gesicht mit einem Tuche verdecken,
um nicht erkannt zu werden.
Der Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig Oels rüstete nämlich bei Nahot in Oesterr.
Schlesien ein Freikorps, um in dem bevorstehenden Kriege zwischen Frankreich und Oester-
reich unter der letzteren Fahne zu kämpfen und dorthin sollte die Flucht gehen.. Der Obercon-
sistorialrath Weiss mußte seinen verkappten Gehülfen an einem passenden Orte in Preußisch
Schlesien absetzen, und es gelang demselben auf Schleichwegen unbehindert die Grenze zu er-
reichen. Der Offizier der Oesterreichischen Grenzwache mußte ihn zwar zunächst arretieren,
um ihn dem Herzog zu überliefern. Das hinderte sie aber nicht, einige Flaschen Ungarwein zu-
sammen zu trinken, ein Genuß, dem sich Carl Friedrich Wilhelm seit langer Zeit zum ersten
Male in dem frohen Gefühle einer augenblicklichen Sicherheit hingeben durfte.
Der Herzog empfing ihn mit den Worten:“Mein Kind, ich weiß schon, was passiert ist und
daß Sie kommen würden; bleiben Sie hier!“ Er ernannte ihn zum Offizier bei seinen schwar-
zen Husaren und behielt ihn einstweilen in seiner Umgebung. So war nun C.F.W. wiederum
Soldat, aber dieses Mal sollte er es länger bleiben und es sollte ander kommen, als man sich ge-
dacht hatte. Der Herzog hielt große Stücke auf seinen jungen Leutnant, der wohl eine ganz an-
dere Carriere gemacht haben würde, wenn der Herzog bei seinen Husaren geblieben und nicht
frühzeitig bei Waterloo gefallen wäre.
Der Krieg zwischen Frankreich und Oesterreich zerschlug sich und der Herzog von Braun-
schweig-Oels entschlossen, gegen den Erbfeind nicht unthätig zu bleiben, war auf sich selbst
hingewiesen. Man rechnete zwar auf einen allgemeinen Aufstand, indessen der Herzog war
doch so vorsichtig, sich dadurch den Rücken zu decken, daß er mit England in Unterhandlun-
gen trat, welches versprach, Schiffe bei Bremerhafen bereit zu halten, um das ganze Corps auf-
zunehmen und nach England zu führen. Die Aufgabe bestand nur darin, von Nahot in Böhmen
quer durch feindliche und unter feindlicher Botmäßigkeit stehende Länder nach Bremerhafen
zu gelangen. Der Herzog stellte seinem Corps die verzweifelte Lage vor und überließ einem
jeden, ob er bei ihm bleiben wolle oder nicht. Es verließen ihn nur Wenige; wohin sollten sich
auch die Übrigen wenden? Es waren meist verwegene Männer, die in ihren Heimathländern
wenig zu hoffen, aber viel zu fürchten hatten; die Offiziere waren fast sämtlich von den Fran-
zosen für vogelfrei erklärt. Glücklicher Weise kam man in den Troublen und Wirren nicht recht
darüber zur Besinnung, welchen schweren Entschluß man gefasst hatte.
Schon vor dem Aufbruch von Nahot war Schill losgegangen; es hatte schon vorher zwischen
ihm und dem Herzog Verhandlungen über gemeinsame Operation stattgefunden, welche sich
aber an der Frage nach dem Oberbefehle zerschlugen. Der Herzog wollte nochmals einen Ver-
trauten an ihn senden und seine Wahl fiel auf den Leutnant Butze, welcher ja so glücklich war,
einen Paß zu besitzen. Die Mission war um so gefahrvoller nicht nur, weil der gefälschte Paß
inzwischen ohne ordnungsmäßige Visierung um ein Jahr älter geworden war, sondern auch,
weil die Reise zur Beschleunigung mit Extrapost gemacht werden mußte, eine für einen Hand-
lungsreisenden in damaliger Zeit eine durchaus ungewöhnliche Beförderungsart. Er gebrauchte
wenigstens die Kriegslist, den Postillonen die Scheine, welche sie in ein Täschchen außerhalb
des Wagens zu stecken pflegten, heimlich fortzunehmen, damit Niemand controllieren könne,
wie weit er bereits hergekommen; indessen konnte das auch nur wenig helfen, denn bei dem
geringsten Verdachte mußte es sich bald genug herausstellen, wie wenig es dem Reisenden um
Absatz von Tuch zu thun gewesen, und dann war er schon halb verloren. Indessen das Glück
begünstigte ihn auch hier, wie bei manchen anderen gefahrvollen Unternehmungen seines
Lebens.
Der weitere Verlauf dieser Mission ist von Schneidewind in seinem Werke über den denkwür-
digen Zug des Herzogs von Braunschweig wahrheitsgetreu beschrieben worden. Er sagt von
Seite 611 ab:
„Während das Herzogl. Braunschweigische Corps noch in und um Meissen in seinen Canton-
nements weiterer kriegerischer Bewegungen gewärtig lag, kam der Leutnant Butze von der ihm
an den Major Schill aufgetragenen Mission zu dem Herzog zurück. Butze war nämlich gleich
nach dem Aufbruche des Herzogs von Nahot zu Schill, welcher, wie die eingegangenen Nach-
richten lauteten, unterhalb Magdeburg für die Sache Deutscher Freiheit kämpfte, mit dem Auf-
trage von dem Herzoge gesendet worden, den kühnen Mann zu einer Vereinigung mit dem
schwarzen Corps aufzufordern, ihm aber auch zugleich anheim zu geben, seine Operationen so
einzurichten, daß er im schlimmsten Falle sich Sachsen als Rückzugpunkt offen behalte, wo er
dann leicht im Stande sein würde, sich dem Herzog anzuschließen. Unter einem anderen Na-
men war Butze über Zittau, Luckau nach Brandenburg geeilt, um von dort aus, das Königreich
Westphalen fortdauernd meidend, in die Gegend von Magdeburg zu kommen. Allein in Bran-
denburg erfuhr er, daß Schill in seinen Erwartungen getäuscht, über die Elbe zurückgegangen
sei und durch das Mecklenburgische sich nach Pommern gewandt habe. Obgleich Butze den
Hauptzweck seiner Mission verfehlt sah, so trieb es ihn dennoch an, Schill zu folgen. Er eilte
Pommern zu erreichen; doch in dem Mecklenburgischen Städtchen Waren traf er auf einen
Holländischen Offizier, der ihm die Bewältigung des Schill’schen Corps erzählte, und der auch
der Überbringer des Hauptes des Majors v. Schill war, welches man als eine Siegestrophäe
nach Cassel sandte. In der Absicht jedoch, die Mannschaft der aufgelösten Schaar für den
Dienst des Herzogs zu gewinnen, begab sich Butze nach der Insel Usedom, wohin jene von
Stralsund ihren Marsch gesetzt hatten; er kam zu spät, die Schaar hatte sich auf Gnade und Un-
gnade ihrem Herrn, dem Könige von Preußen ergeben; nur Einzelne konnte Butze nach
Meissen zum Herzoge führen.“
Diesem Berichte ist nur Weniges hinzuzufügen. Der Leutnant folgte dem Schill’schen Corps
von Ort zu Ort, konnte es aber bei den damaligen langsamen Beförderungsmitteln erst nach
Vollendung der Catastrophe auf der Insel Usedom, dem äußersten Thule, erreichen. Er folgte
Schill nach der kleinen Festung Dömitz a.d.Elbe, und bei dieser Gelegenheit mußte er seine
Vaterstadt Sandau passieren. Mit welchen Gefühlen mochte er den wohlbekannten Kirchturm
aus der Ebene auftauchen sehen! In das Haus seiner Eltern zu gehen, durfte er nicht wagen; er
ging nach dem etwas abseits gelegenen Amte, wohin die Eltern Abends von dem Ober Amt-
mann Koester zum Besuche eingeladen wurden, was bei dem regen Verkehre zwischen den
beiden Familien nicht auffallen konnte. Das war ein unerwartetes Wiedersehen, aber in die
Freude mischte sich auch die bange Besorgnis, ob ihnen jemals wieder ein solcher Moment des
Glückes zu Theil werden würde. Der Sohn war im Begriffe, einer unbekannten Zukunft in der
Fremde entgegen zu gehen und es konnten ja jeden Augenblick die Häscher hereindringen, um
ihn einem kaum vermeidlichen Tode zu überliefern. Gott hat es gnädiglich zum Besten geleitet:
Die Verbannung währte zwar lange, aber er ist unversehrt aus allen tausend Gefahren hervorge-
gangen; er kehrte in sein Vaterhaus wieder zurück und fand seine Eltern samt seinen Geschwi-
stern wieder, er ruht auch inmitten der Seinigen, statt in der weiten Ferne ein ödes und unbe-
kanntes Grab zu finden!So heimlich er nach Sandau gekommen, so heimlich mußte er sich
aus den Armen seiner tiefbekümmerten Eltern reißen, und seinen Geschwistern durfte er aus
Furcht vor Entdeckung nicht einmal ein vielleicht letztes Lebewohl sagen.
Der Herzog von Braunschweig-Oels war also – es war im Jahre 1806 – in des Feindes Land ge-
fallen, sein Zug, der bisher noch nicht die genügende Würdigung gefunden zu haben schien,
begann. Es ging zunächst in der Nähe von Leipzig vorüber und der Leutnant Butze wurde mit
einer Anzahl Husaren commandirt, eine Contribution aus Leipzig, so hoch er sie in der Eile be-
kommen könne, zu requiriren. Die Husaren hielten auf dem Marktplatze zu Leipzig und ihr
Leutnant Butze ritt in das Parterregeschoß des Rathhauses hinein, um dem versammelten Rathe
seine Forderung zu stellen. Er ließ dann auch mit sich handeln und als er mit seinen Husaren
sammt den eingezogenen Geldern abzog, verehrte ihm der Rath zu Leipzig, aus Dankbarkeit
für seine Billigkeit einen schönen Schimmel mit prächtigem Zeuge aufgezäumt. Von da an zog
man nach Greiz und Schleitz. Der eine Fürst war ein echter Deutscher und umarmte vor Freude
den Leutnant Butze, als er für den Herzog auf dem Schlosse Quartier bestellte. Der andere war
ein arger Franzosenfreund und erschien mit seinem Hofstaat in steifer Etikette und mit grämli-
chen Gesichte bei Tafel, welches sich keineswegs erheiterte, als der Herzog der Tafelmusik
zurief, daß sie das damals bekannte und beliebte Spottlied aufspielen möchte:“ Napoleon, Du
Schinderknecht!“. Und noch viel länger wurde das fürstliche Gesicht, als der Herzog sammt
seinen Offizieren zu der Musik die kernigen Worte des Textes absangen.
In einer der beiden genannten Städte hörte der Leutnant Butze im Vorübergehen einen großen
Lärm, und als er näher trat, sah er eben mehrere Husaren beschäftigt, auf Befehl eines Offiziers
einen Mann, als angeblichen Spion an dem Fensterkreuze aufzuhängen. Es war der Bürgermei-
ster des Ortes und der Leutnant Butze schöpfte bald Verdacht, daß hier ein Missverständnis
obwalten könnte. Mit Mühe erlangte er Aufschub der Execution; die genauere Untersuchung
ergab, welche der Herzog befahl, stellte alsbald heraus, daß der Mann ganz unschuldig war. Es
gab zwei Bürgermeister in dem Orte, was dem Offizier bei seinem höchst summarischen Ver-
fahren vollständig entgangen war, und die allerdings sehr gravierenden Briefe gar nicht an die-
sen, sondern an den anderen flüchtig gewordenen Bürgermeister gerichtet waren. So geht es im
Kriege her: ohne die zufällige Dazwischenkunft des Leutnants Butze wäre der vollkommen un-
schuldige und patriotische Mann, dessen Namen leider nicht aufbewahrt ist, in das Jenseits be-
fördert.
Bei Halberstadt, welches genommen werden mußte, ist es hart hergegangen. Es war von West-
phälischen Truppen unter dem Commando eines Engländers (Wallmoden?) besetzt. Nachdem
die Thore durch Kanonen geöffnet, wurde die ummauerte und umwallte Stadt nach manchem
Blutverluste erstürmt. Der Leutnant Butze erhielt den Befehl, die Straßen von den Westphälin-
gern, welche sich in verschiedenen Häusern festgesetzt hatten, zu säubern. Er hielt innerhalb
der Stadt an einem Thorthurme, es muß das Burchardie oder das Wasserthor gewesen sein -,
um die Operation einzuleiten, als plötzlich aus dem verlassen geglaubten Thorthurme Musque-
tenfeuer erschallt; sie hatten Niemaden getroffen, aber des Leutnants Pferd stürzte nach weni-
gen Schritten zusammen: eine Kugel hatte es zwischen Schwanz und Sattel getroffen, wenige
Zoll höher, und der Leutnant war ein toter Mann. Der Thurm wurde natürlich zunächst gesäu-
bert und es mag wohl Niemand von seinen Insassen, nicht unverdient für ihre Hinterlist, mit
dem Leben davongekommen sein. Merkwürdiger Weise hatte der Herzog, ohne es zu wissen,
sein Hauptquartier in einem vor der Stadt gelegenen Judenhause genommen.
Nun kamen sie in die eigentlichen Erblande des Herzogs, man jubelte ihm überall entgegen,
aber als er wegzog, blieben alle still zu Hause. In der Erwartung eines allgemeinen Aufstandes
hatte man sich, wie der Herzog geahnt, getäuscht; nach dieser Richtung hin war die Untersu-
chung, wie die Dörnberg’sche und Schill’sche verfrüht. Die Leute waren zu kaltblütig; es be-
durfte noch mehrerer und größerer Reizmittel, um hier zu Thaten gegen das Tyrannenjoch auf-
zustacheln!
Es gab noch mehrere Gefechte, z. B. bei Oelper, wo der weit überlegene Feind vor den beiden
Kanonen des Herzogs, die ihm sehr unerwartet ihre Kartätschenladungen entgegendonnerten,
die schleunigste Flucht ergriff. Was nicht geblieben war oder schwer verwundet zurückgelas-
sen werden mußte, erreichte Bremerhafen, aber die Franzosen waren ihnen so dicht auf den
Fersen, daß davon Kanonenschüsse noch in die Takelage der zuletzt absegelnden Schiffe ein-
schlugen. Sie hatten kaum Zeit, ihre Waffen und nothwendigen Habseligkeiten einzuschiffen;
die Pferde mußten sämtlich zurückgelassen werden, was sich die umwohnenden Bauern zu
Nutze machten. Der gewöhnliche Preis für ein Husarenpferd war ein Zentner Tabak. Der
Leutnant Butze erhielt für 3 schöne Reitpferde, darunter wahrscheinlich der Leipziger Schim-
mel, 3 Louis d’or, welche er seinem Bedienten schenkte.
Zur Zeit der Einschiffung litt er an einer Schusswunde am Bein, welche ihm die Fortbewe-
gung zu Fuße sehr mühsam und schmerzhaft machte. Ihr erster Anhalt war auf der Insel
Helgoland. Napoleon hatte damals die Continentalsperre decretirt, d.h. es sollten, um England
durch den Ruin seines Handels an das Herz zu treffen, keine Colonialwaren auf den Contin-
nent eingeführt werden. Der Corse war bereits in Europa außer in England und Russland all-
mächtig. Der ganze Handel Englands war auf den Schmuggel reducirt, welcher in großartigem
Maaßstabe betrieben wurde, und zwar nach Deutschland hauptsächlich über Helgoland. Ein
jeder, welcher die enormen Preise erschwingen konnte, wollte doch Kaffee und Zucker ge-
nießen, und der Handel nahm trotz der Napoleonischen Machtansprüche am Ende nur eine
andere Gestalt an. Es war unglaublich, welche Schätze in Helgoland aufgehäuft waren:
Unabsehbare rohe Bretterschuppen waren mit den kostbarsten Waaren, Kaffee, Zucker, Ge-
würze und Spezereien angefüllt; die angesehendsten Handelsherren von England waren ent-
weder selbst dort, oder hatten ihre Vertreter gesendet, und auf der sonst so stillen Insel, an de-
ren vielbesuchte Seebäder damals noch Niemand dachte, herrschte ein reges Leben und das
bunte Treiben. Von Helgoland wurde das Corps nach Irland übergesetzt, um in der Gegend
von Cork seine Organisation zu erhalten. Der Herzog v. Braunschweig-Oels wurde den Ver-
abredungen gemäß Englischer General, und seine ganze Schaar trat als ein gesonderter Trup-
pentheil unter seinem Befehle in Englische Dienste. Mit ihm natürlich auch der Leutnant
Butze, welcher nunmehr Großbrittanischer Unterthan geworden war. Sein Leutnantspatent
datirt vom September 1809. Die Englischen Patente sind überaus praktisch eingerichtet:
Ein kleines Folioblatt von Pergament Papier, ebenso geschickt zur bequemen Verpackung
und leichten Transporte, als haltbar und unverwüstlich für die weiten und langen Reisen.
Auf der linken Seite befinden sich untereinander 2 Englische Staatssiegel mit Papier be-
klebt und darauf gedruckt das obere in Weiß, das untere in Dunkelblau, ein Theil des Wap-
penschildes in Silber. Dieses Patent, dem man die Spuren seines Alters und vielfachen Ge-
brauches ansieht, das aber trotzdem wohlerhalten ist, lautet:
George the
Third, by the Grace of God, of the
King Defender of the Faith and to Our Trusty and Wellbeloved Wilhelm
ButzeGent. Gree-
ting: We
do by these Presents, Constitute and Appoint you to be Leutenant to the Troops
of
Cavalry in
the Duke of
Serene
Highness William Duke of Brunswick-Oels, with temporary Rank in…..? Army. You
are
therefore carefully and diligently to decharge the Duty of Leutenant by
Exercising and
Well
disciplining both the inferior Officers and Soldiers of that Troop and We do,
hereby,
Command
them so Obey you as their Leutenant and you are to observe and follow such Or-
ders and
Directions, from Time to Time, as you shall receive from your Colonel or any
other
your
Superior Officer according to the Rules and Discipline of War, in pursuance of
the Trust
hereby
reposed in You. Given at Our Court at St. James the………?
Day of
September 1809 in the…..Year of Qur Reign
By His
Majestys Command
(Unterschrift)
Der Leutnant Butze war auch Adjutant, welches in England für eine besondere Charge gilt,
und zwar bei dem Obrist, nachherigen General v. Dörnberg, der Seele des Aufstandes gegen
Cassel und Magdeburg, welcher ihm nicht nur Commandeur, sondern zugleich ein Freund war
und blieb. Es ist ein bemerkenswerther Umstand, daß die Butzes immer Freunde und Gönner
von einflussreicher Stellung besaßen, aber nicht auszunutzen verstanden. Sie werden auch in
Zukunft ihre Rechnungen in der Hauptsache für sich allein machen müssen, ohne dabei auf
Gunst der Menschen oder besondere Glücksfälle zu hoffen; doch sollen sie auch außerordent-
liche Unglücksfälle nicht befürchten!
.Die Unthätigkeit des Corps zog sich wider Erwarten in die Länge. Unser Leutnant lag in
Fermog bei Cork in Irland. Die Husaren waren als Englisches Regiment wieder beritten ge-
macht und wurden nun organisirt und einexerziert. Butze besah sich auch die große Weltstadt
London und wurde hier in den Orden der Freimaurer bei der großen Loge von England aufge-
nommen. Diese Mitgliedschaft gewährte bei der Verbreitung des Ordens über die ganze Welt
in damaligen unruhigen Zeiten einen sehr wünschenswerthen Anhalt und hat manchen Bruder
aus sehr mißlichen Lagen gerettet oder wenigstens seine Fährlichkeiten möglichst erleichtert.
Sonst schien Carl Friedrich Wilhelm nicht sehr dafür eingenommen; er schrieb in späteren
Jahren, in der Zeit, als er sich nur noch des Bleistiftes zu bedienen pflegte, an seinen Sohn,
der den Entschluß, in den Orden einzutreten, gefaßt, aber nicht ausgeführt hat: „Rathen kann
ich Dir in diesem Betreff gar nicht; Du vermehrst dadurch Deine Bekanntschaften, es fragt
sich, ob es Leute sind, die dir etwas helfen können, oder nur solche, so Hülfe bedürfen? Mei-
ner Erfahrung nach, ist das Letztere immer meist der Fall. An und für sich mag die Sache
ganz gut sein, aber bei der großartigen Gestaltung der Dinge und nie hinreichenden Geldmit-
teln wird die Sache doch kostspielig, und die Frage ist immer: Kann der Zweck erreicht wer-
den?
Carl Friedrich Wilhelm hatte sich schon als Bauconducteur mit einer Donner aus der Gegend
seiner Heimat versprochen. Der unerwartete Gang der Ereignisse konnte ihn nicht darauf
rechnen lassen, diese, wie es scheint, nicht öffentliche Verlobung zur Ehe zu führen, denn
Niemand wagte damals zu hoffen, daß die Verbannten je in ihr Vaterland zurückkehren dürf-
ten, so daß er die Verbindung als aufgehoben betrachten konnte. Die Donner hatte dieselbe
Anschauung; sie verheirathete sich, nachdem sie mit den Schwestern ihres früheren Verlobten
Rath gepflogen, mit dem Amtmann Reuter, nachherigem Besitzer des Rittergutes Windberge
in der Altmark. Carl Friedrich Wilhelm ließen seine Geschäfte als Leutenant und Adjutant im-
mer noch Zeit genug, sich nach den schönen Töchtern des Landes umzusehen. Er fand auch
eine Irländerin, Marie Anna Jones, die ihm ihr Herz schenkte, und er ihr das seine. Der Bund
war aber nur von kurzer Dauer: zu Alicante in Spanien empfing er einen schwarz gesiegelten
Brief, welcher ihm die Nachricht von ihrem frühzeitigen Tode brachte. Mit leichter Wehmuth
gedachte er in seinem Alter öfter dieses Verhältnisses, und er hat auch zwei Andenken von
ihr, ein Gebetbuch nach dem Ritus der Anglicanischen Hochkirche und eine Nachtmütze, in
welchen sie seinen Vornamen eingestickt hatte, nebst mehreren Briefschaften in Englischer
Sprache durch alle Fährnisse nach seiner Heimath gerettet – ein Beweis, wie sorgfältig er die-
selben gehütet.
Das Leben war gewaltig theuer, der Garnisondienst ermüdete und Alles sehnte sich nach fri-
scher Thätigkeit. Ein Theil des Braunschweigischen Corps und namentlich die Husaren, wur-
den dazu bestimmt, der Hülfsarmee für Spanien unter Lord Wellington beigestellt zu werden,
ein anderer Theil sollte für die in Aussicht stehenden Operationen auf dem Continente zurück-
bleiben.. Die Vertheilung der Offiziere war noch ungewiß. Da theilte der Obrist von Dörnberg
im Juni 1811 seinem Adjutanten mit, daß der Herzog denselben in Vorschlag gebracht, um
mit nach Spanien zu gehen, doch werde dies nur unter Verzicht auf die Adjutantur geschehen
können, er, der Schreiber des Briefes, wolle und könne Nichts rathen. Die Sache schien da-
nach ihre 2 Seiten zu haben, und es stellte sich auch in der Zukunft heraus, daß die nach Spa-
nien commandirten Offiziere nicht das Glückslos getroffen hatten; hauptsächlich weil der
Herzog selbst bei seinen anderen Truppen zurückblieb. Dörnberg kam auch nicht mit, obwohl
sich in allen seinen Briefen der dringendste Wunsch aussprach, bei seinem Regiment zu
bleiben.
Die Bedenken wegen der Adjutantur sind in irgend einer Weise beseitigt: der Leutnant Butze
wurde mittelst Patentes vom Juni 1811, welches in der äußeren Form dem früheren gleich,
aber eine abweichende Wortfassung enthält, zum Adjutanten ernannt. Der Herzog von Braun-
schweig gratulierte ihm dazu, in einem äußerst verbindlichen, eigenhändigen Schreiben d.dto:
London d. 3. April 1811. In der Adresse hat er ihn sogar zum Herrn von Butze geadelt, wo-
raus unter anderen Umständen eine Berechtigung hätte hergeleitet werden können. Indessen
unser Vorfahr hegte derartige Wünsche ebenso wenig wie seine Nachkommen.
Dieser eigenhändige Brief des Herzogs verdient ebenso wie die Briefe des Generals von Dö-
renberg sorgfältige Aufbewahrung in der Familie; denn beide Schreiber sind historische Per-
sonen, von denen Autographen immer mehr Interesse gewinnen, je weiter sich die vorschrei-
tende Zeit von ihnen entfernt.
Es begann nunmehr der Spanische Feldzug; die Erlebnisse unteres Ahnen in demselben sollen
in einem besonderen Capitel aufgezeichnet werden. Er kehrte aus demselben lebend und mit
unversehrten Gliedern zurück, hatte aber den Keim einer schweren Krankheit davongetragen.
Es war im Jahre 1816, als er nach 8jähriger Verbannung alle die Seinigen umarmen konnte.
Das Schicksal fügte es, daß er auch sehr bald seine frühere Braut als Frau bei einem Besuche
auf der Domäne Kloster Jerichow wiedersah. Reuter spielte eine Parthie Whist und der Ritt-
meister hatte während einer zufälligen Verhinderung auf kurze Zeit dessen Parthie übernom-
men, ohne daß die Reuter, welche ihrem Manne zu seiner Überraschung nachgefahren war
und eben im Nebenzimmer ihre Überwürfe ablegte, etwas davon gemerkt hatte, heimlich
schlich sie heran und hielt ihrem vermeintlichen Ehemann von hinten die Augen zu, damit er
rathen solle, wer es sei? Ziemlich verdutzt standen sich die beiden alten Verlobten gegenüber
und der Rittmeister zog es vor, sich nach einiger Zeit sein Pferd satteln zu lassen und davon
zu reiten.
In Braunschweig hatte sich inzwischen Vieles verändert.. Der Herzog Friedrich Wilhelm, der
Gönner des Rittmeisters, war bei Waterloo gefallen. Er hatte nach seinen kürzlich formierten
Uhlanen sehen wollen, welche sich nicht tapfer hielten, und auf dem Ritte dorthin, welchen er
in seinem Zorn hastig und allein unternahm, wurde er von einer Flintenkugel erschossen, un-
zweifelhaft von befreundeten Soldaten, die sich wahrscheinlich in einem in der Nähe ent-
deckten Weinkeller betrunken hatten; eine feindliche Kugel konnte ihn auf seinem Ritte gar-
nicht treffen. Sein Sohn und Nachfolger, der Herzog Carl, war minorem und wurde von dem
Prinzregenten von Groß Britanien, nachmaligem König Georg IV. bevormundet. Avancement
hatte unter den schwarzen Husaren während des Feldzuges gar nicht Statt gefunden, wozu die
eigenthümliche in sich selbst abgeschlossene Stellung des nur auf Zeit in Sold genommenen
Regiments beitragen mochte. Sie erfuhren nun, daß wer seine Haut auswärts zu Markt tragen
muß, in der Regel seine heimischen Verhältnisse schlecht besorgt sieht. Man scheint den Of-
fizieren sogar von England aus ihre Half-pay, die Hälfte ihres Gehaltes als Pension vorzuent-
halten zu haben, wie ein Brief des Generals von Dörnberg d.dto Celle den 10. Oktober 1817
ergiebt, dem ein leider verloren gegangener abschlägiger Bescheid von Lord Palmerston bei-
gelegen hat. Die Angelegenheit ist indessen zur Zufriedenstellung reguliert, denn der Rittmei-
ster bezog später sein Halfpay von 100 Pfund Sterling jährlich, und bei seiner Quittung mußte
ein Beamter bescheinigen, daß er noch am Leben sei und kein geistliches Amt bekleide.
Letzteres war vorgeschrieben, weil man in England den Missbrauch abstellen wollte, daß
geistliche Pfründen, deren amtliche Funktionen nachher durch erbärmlich besoldete Vikarien
besorgt wurden, von den Privat Patronen an ausgediente Kriegsleute verliehen wurden.
Mit Braunschweig ging es weniger gut. Das Ländchen konnte natürlich die während des Krie-
ges angestellte unverhältnismäßige Menge Offiziere in seiner auf den Friedensetat reducirten
kleinen Armee nicht verwenden; die Mehrzahl mußte es sich gefallen lassen, auf Wartegeld
gesetzt zu werden. Die schwarzen Husaren gingen ganz ein und zu ihrem Andenken wurde
das Leibbataillon errichtet; Jäger mit einer ähnlichen Uniformierung; die Offiziere kamen auf
Wartegeld. Man behandelte sie aber ungerecht; während in der ganzen übrigen Braunschwei-
gischen Armee, welche schon früher in der Heimath gewesen und das Praevenir gespielt hat-
te, alle Offiziere um einen Grad aufrückten, sollten die schwarzen Husaren bleiben, was sie
waren oder eigentlich von vorn anfangen, selbst die inzwischen übernommenen Offiziere der
aufgelösten, feindlichen Westphälischen Armee hatte man ihnen vorgezogen. Das alte
Sprichwort: Undank ist der Welt Lohn, wurde einmal wieder zur Wahrheit. Die Beschwerden
bei den Braunschweigischen Behörden halfen nicht, da wendeten sie sich in einem von dem
Leutnant Butze verfassten Memorial, was die Ungerechtigkeit der Behandlung vollständig
klar stellte, mit einer Beschwerde direkt an den Vormund des Herzogs, den Prinzregenten
Georg von England. Das scheint gefruchtet zu haben, wenigstens durch das von Georg unter-
zeichnete Patent dto Carlton House den 28. Juli 1818 wurde dem Leutnant Butze der Charak-
ter eines Capitains beigelegt. Der englische Grad des Capitains ist nicht gerade der Deutsche
Hauptmann bei der Infanterie, sondern dieselbe Rangstufe bei allen Truppengattungen, so
daß Butze fortan offiziell und inoffiziell Rittmeister war.
Wo er seinen Aufenthalt genommen, ist nicht recht ersichtlich, anscheinend schon in Helm-
stedt. Er war viel unterwegs und pflegte vom Braunschweigischen bis nach Sandau, begleitet
von seinem Hunde Ponzo, in einem Tage zu reiten. Seine Englischen Pferde hatte er noch bei-
behalten, fuhr auch zeitweise in einem aus London mit herübergebrachten Gick spazieren.
Um diese Zeit lernte er seine künftige Ehefrau kennen
Dorothea Catharina Friederike Henniges,
geboren zu Braunschweig am 8. Juni 1787. (Anm. Wahrscheinlich ist sie in der Magni-Kir-
che, zu welcher ihr väterliches Haus gehörte, getauft, und vermuthlich ist der richtige Ge-
burtstag der 8. Juli, s. Seite 288)Sie war die Tochter des Hofrathes Henniges, welcher zu-
gleich das später dismembrirte Rittergut in Schöningen besaß, Gärten und Hofstelle mit den
Gebäuden und etwas Land blieben zurück, befinden sich auch noch im Besitze der Familie
Henniges. Der Hofrath war ein reicher Mann und wußte seine Stellung bei dem Herzog Carl
Wilhelm Ferdinand, welche etwa der eines Preußischen Geheimen Cabinets Rathes glich, vor-
trefflich auszubeuten, er verschaffte fast jedem seiner Kinder eine besondere Gnadenverleih-
ung des Herzogs. Der Friederike, seiner einzigen und mit ihrem Zwillingsbruder jüngsten
Tochter, wurde durch die vom Herzoge vollzogene Urkunde vom 5. Mai 1794 die Anwarth-
schaft auf eine Conventualinstelle im Kloster Crucis von Braunschweig verliehen. Carl Wil-
helm Ferdinand war der Vater von Friedrich Wilhelm und derselbe Herzog von Braun-
schweig, welcher die Unglücksschlacht bei Jena verlor und an seinen Wunden zu Ottensen
bei Hamburg im Jahre 1806 verstarb. Die Anwartschaft auf das Kloster war ziemlich weit
aussehend, nach einem aufgefundenen Verzeichnisse aus späterer Zeit gingen der Friederike
Henniges noch 26 Expectantinnen vor. Sie bedurfte aber auch dessen nicht; sie war bildschön,
groß und schlank, blond mit blauen Augen und in ihrer Jugend unter dem Namen der „Thau-
tropfen“ allgemein bekannt, wodurch ihre Erscheinung am treffendsten charakterisiert wird.
Sie hatte nur einen Henniges’schen Familienfehler, ihre indessen äußerlich nicht bemerkbare
Kurzsichtigkeit, welche sie auf alle ihre Kinder vererbte hat. In ihren späteren Jahren wurde
sie von der Gelbsucht heimgesucht, wodurch ihr Gesicht eine matte Farbe bekam und sich
um die Augen kleine gelbliche Fleckchen bildeten.
Sie verheirathete sich zuerst mit dem Amtshauptmann v. Strombeck zu Sisbeck im Braun-
schweigischen, dem sie 2 Söhne, Hilmar und August, gebar. Die Ehe war keine glückliche, so
daß es zur richterlichen Scheidung kam; das nähere dieses Prozesses ist nicht bekannt, nur so
viel steht fest, daß sich Friederike zur Klage gezwungen sah, daß der Amtshauptmann, wel-
cher der Scheidung durchaus entgegen strebte, der allein schuldige Theil war und auch für
solchen erkannt wurde. Auf diesen Prozeß beziehen sich 2 ebenfalls aufbewahrte Schreiben
des Herzogs Friedrich Wilhelm, das eine vom 20. Juni 1814, welches dem Schreiber als Men-
schen und als Regenten alle Ehre macht, das 2te vom 16. Dezember 1814, welches die Be-
schleunigung der Angelegenheit zusichert. Der Herr von Strombeck heirathete später sein
Dienstmädchen, welches sich aber als Frau v. St. sehr gut benommen hat. Dies läßt sich weni-
ger von ihren Kindern sagen. Der eine Sohn hat seinem Vater das Gut abgeschwindelt, wel-
ches eigentlich von Gottes- und Rechtswegen an Hilmar fallen mußte.
Als der Rittmeister sie kennen lernte, war Friederike bereits geschieden. Am 10. Okt. 1820
fand die Trauung zu Helmstedt Statt.
(Anm. Möglicherweise könnte die Trauung auch in Schöningen gewesen sein. Die Trauung
ist in Legde bei Wilsnach durch den dortigen Prediger Böttcher, den Schwager des Rittmei-
sters erfolgt. Die kleine Dorfkirche hat also für unsere Familie mehr als einen Anziehungs-
punkt.)
Sie wählten als ihren ersten Wohnsitz Helmstedt, dessen Gesundbrunnen viele Gäste anzog,
namentlich auch die Kriegskameraden des Rittmeisters, welche ihr Geld nicht selten an der
Spielbank hängen ließen.
Am 12. Oktober 1821 wurde ihnen ein Sohn geboren Gottfried Wilhelm, das einzige Kind,
welches dem Rittmeister beschieden ist.
Bald nach der Geburt dieses Kindes stellte sich die schwere Krankheit des Rittmeisters ein,
welche ihn während seines noch 40jährigen Lebens nicht wieder verlassen hat. Sie fasste ihn
mit plötzlicher Gewalt und warf den starken Mann nieder, daß er seiner Glieder nicht mehr
mächtig war. Die Ursache lag in den Strapazen des Krieges, Klimawechsel und Wunden,
aber die eigentliche Beschaffenheit konnte von den Ärzten nicht festgestellt werden. Wahr-
scheinlich hatte sich eine knorpelartige Verlängerung an das Rückgrat angesetzt, welche die
ordnungsmäßige Leibesöffnung verhinderte. Die Folge davon war Lähmung der Beine und
unsägliche Schmerzen im Kreuz und Unterleibe, als wenn mit Messern darin gestochen wür-
de. Es wurden Schlammbäder angewendet, er wurde entlängs des Rückgrates gebrannt, be-
suchte verschiedene Bäder, aber die Krankheit wich nicht. Jedoch hatte sich der Zustand we-
nigstens so weit gebessert, daß sich der Rittmeister mit Hülfe eines Stockes, wenn auch be-
schwerlich, fortzubewegen vermochte. Der vielgewanderte Mann war nun im Wesentlichen
an sein Zimmer gefesselt, und mußte manche lange einsame Stunde an seinen Erinnerungen
zehren; leider blieben auch seine Schmerzen, aber er wußte sich bewunderungswürdig zu be-
herrschen und bei lebhafteren Gesprächen kam er auch schließlich über sein Leiden fort.
Seine Geduld war ohne Grenzen, nur selten übermannte ihn der Schmerz zu Klagen oder eini-
gen nicht böse gemeinten Soldatenflüchen. Manchen Zeitvertreib gewährte ihm das Rauchen;
zuerst rauchte er sich Pfeifenköpfe von Meerschaum an, dann bei fortschreitender Cultur Ci-
garrenspitzen von demselben Material, dagegen war er vom Lesen kein Freund und be-
schränkte sich nothdürftig auf die Zeitungen.
Der Aufenthalt in Helmstedt währte nur ein Paar Jahre; ein besonderer Grund für einen Woh-
Nungswechsel war nicht ersichtlich; es mochte ihnen im Allgemeinen in Helmstedt nicht
Mehr gefallen. Die treue Dienstmagd Amalie Kunkel war bereits bei ihnen. Sie waren zwei-
Felhaft zwischen Blankenburg am Harz und Braunschweig. Gegen erstere Stadt wurde der
Rittmeister eingenommen, weil die Sonne so frühzeitig hinter den Bergen unterging, und sie
Entschieden sich für Braunschweig, wobei die Rücksicht auf die dort wohnenden Verwandten
Und Bekannten den Ausschlag gegeben haben mochte
Der gesellige Verkehr konnte bei der Krankheit des Rittmeisters nur ein beschränkter sein; am
regelmäßigsten wurde er mit dem Zwillingsbruder der Friederike, dem Obrist-Leutnant von
Henniges und einem anderen Schwager, dem Obrist-Leutnant Metzner, unterhalten; sie aßen
abwechselnd des Sonntags beieinander zu Mittag, wobei die Kinder wenigstens nach dem Es-
sen ebenfalls zugezogen wurden. Es gingen auch manche Bekannte und Waffengefährten in
dem Hause aus und ein. Die großen und glänzenden gesellschaftlichen Cirkel vermißten sie
nicht; denn sie waren sich selbst genug und ihre Ehe blieb eine musterhafte und glückliche.
Seinen einzigen Sohn Gottfried Wilhelm liebte der Rittmeister über alles; er stand aber auch
mit seinen Stiefsöhnen Hilmar und August von Strombeck, welche bereits ihren Studien auf
Universitäten oblagen, im besten Einvernehmen; sie besuchten ihn allemal in den Ferien auf
längere Zeit und schienen sein Haus mehr als ihre Heimath zu betrachten, als ihr väterliches.
Zwischen dem Sohn und seinen Halbbrüdern konnte sich kein inniges Verhältnis herausbil-
den, weil die Zeiten des Zusammenseins zu kurz und das Alter ein zu verschiedenes war.
Im Jahre 1830 wurde der Rittmeister mit jährlich 400 Gulden pensioniert. Er selbst hatte kein
Vermögen, rechnete er dazu sein Halfpay und die Zinsen von dem Vermögen seiner Frau, so
war das Einkommen immer nur ein mäßiges, aber er verstand es durch die pünktlichste Ord-
nung, in seinen Finanzen auch den größeren Anforderungen seiner Ehefrau, welche in der
Natur der Sache lagen, gerecht zu werden und dabei für außerordentliche Fälle kleine Sum-
men disponibel zu haben.
Inzwischen stellten sich auch bei Friederike Butze Krankheitssymptome bedenklicher Art her-
aus und es mußte bald klar werden, daß sie an der Bauchwassersucht litt. Sie blieb in Beglei-
tung von Amalie Kunkel ein ganzes Jahr hintereinander in Carlsbad, aber die Krankheit wur-
de wohl aufgehalten, aber nicht behoben. Der Becher, aus dem sie den Sprudel an der Quelle
getrunken, ist wohl aufgehoben worden. Sie setzte nun ihr ganzes Vertrauen in die Homöo-
pathie des bekannten Hofrathes v. Leibmedicus Mühlenbein, welcher ihr aber erst recht nicht
helfen konnte. Es wurden von Zeit zu Zeit, immer näher aneinander Operationen nothwendig,
aber auch diese mußten zuletzt den Dienst versagen: sie verschied am 31. Mai 1832 zu Braun-
schweig in dem Hause des Maurermeisters Schönherr am Wendenthore. Ihr jüngster Sohn war
damals erst 11 Jahre alt; er gab ihr mit seinen beiden Halbbrüdern und anderen Personen das
letzte Geleit; der Rittmeister mußte sich dies bei seinem leidenden Zustande versagen. Der
jüngste Sohn war noch nicht in dem Alter, um solchen Schmerz zu begreifen und festzuhal-
ten; ihr Andenken ist auch bei ihren älteren Söhnen durch das Treiben des täglichen Lebens
sehr in den Hintergrund getreten, weshalb auch ihr Grab auf dem Kirchhofe vor dem August-
thore zu Braunschweig, durch einen aufrecht stehenden Sandstein geschmückt, mit der Zeit
öde und verlassen dagelegen ist. Einer aber hat die Gefährtin seines Lebens niemals verges-
sen, und das war der Rittmeister: Jeden Morgen bis in sein spätestes Alter, wenn er aus seiner
Schlafkammer hervorkam, verweilten seine Blicke auf dem gegenüber hängenden Bilde seiner
geliebten Ehefrau, und er versäumte es niemals, ihr seine wehmüthigen Grüße in das unbe-
kannte Jenseite zu senden. Er glaubte an eine Wanderung der Seelen von Stern zu Stern mit
Zuversicht und hoffte, dermaleinst mit seiner theuren Friederike wieder vereint zu werden!
Das hinterlassene Vermögen bestand außer Mobiliar-Effekten in ausstehenden Kapitalien von
4000 Thalern Gold, 2000 Thalern Gold, 1000 Thalern Gold, 600 Thalern und 1200 Thalern
Münzen, zusammen 8800 Thalern und außerdem in 1/5 an dem Henniges’schen Gutsgehöfte
Zu Schöningen und 1/4 an 34 1/2 Morgen Acker daselbst, welches nach dem gerichtlich nie-
dergelegten Testamente vom 17. Februar und Codicill vom 31. Mai 1832 unter den Rittmei-
ster, Hilmar und August von Strombeck und Gottfried Wilhelm Butze zu gleichen Theilen
vertheilt werden sollten, dem letzteren war aber, weil er mit seiner Ausbildung weit hinter sei-
nen Halbbrüdern zurückstand, 2000 Thaler Gold und sämtliche Kostbarkeiten, Mobilien, Lei-
nen , Drell , Betten und sonstige Effekten zum Voraus vermacht. Die Theilung erfolgte dem-
gemäß, Gottfried Wilhelm Butze hat aber von den Effekten nur Leinenzeug und den Diamant-
schmuck, welchen seine Frau bei der Trauung erhalten hat, bekommen! Die übrigen Effekten
sind theils verkauft, theils hat sie die Schwester des Rittmeisters, Emilie Butze, erhalten, von
welcher sie aber an ihren rechtmäßigen Eigenthümer wieder zurückkehren werden. Außer dem
eben erwähnten Diamantschmuck, ein Henniges’sches Erbstück, überkam der Rittmeister und
nach ihm sein Sohn, der Regierungs Rath, noch ein merkwürdiges Alterthum, welches wahr-
scheinlich schon seit langen Jahren in der Familie Henniges aufbewahrt wurde, einen Allraun.
Es ist dies ein fabelhaftes thierisches Wesen, halb Wurzel, halb Menschlein, natürlich eine
Ausgeburt des Aberglaubens, welches nach der Volksmeinung außer anderen Wunderthaten
hauptsächlich geschickt ist, die Schätze seines Besitzers zu bewahren und sein Geld zu ver-
mehren. Das unsrige ist eine Wurzel mit zopfähnlichem Ende, deren Fasern überaus geschickt
mit kleineren Vogelknochen verbunden sind, so daß das Ganze das Ansehen eines fingerlan-
gen menschenähnlichen Skeletts bekommt; es liegt in einem jedenfalls uralten metallenen
Kästchen, dessen verlorener Deckel später erneuert ist. Eine Frau der Familie Henniges hatte
dieses Wunderwesen seiner Zeit unzweifelhaft mit schwerem Gelde erworben. Der alte Aber-
glaube ist zwar längst überwunden, aber nichts desto weniger haben sowohl der Rittmeister
als auch der Regierungs Rath halb ernsthaft, halb scherzhaft den Allraun oder das Allrüneken,
wie ihn der Volksmund nennt, bei ihrem Gelde Wache halten lassen. Unmittelbar nach dem
Tode der Friederike geb. Henniges kam Emilie Butze von Sandau, um die nothwendige Lei-
tung des brüderlichen Haushalts zu übernehmen. Sie hat denn auch die übernommene Pflicht
bis zum Tode des Rittmeisters getreulich erfüllt und hat dessen Sohn sorgsam die Stelle der
Mutter ersetzt, so weit dies einem anderen Herzen überhaupt möglich ist.
Dem Rittmeister war zur Wiederherstellung seiner Gesundheit eine Kur in Teplitz verordnet;
noch in dem Todesjahre seiner Ehefrau mußte er mit Amalie Kunkel die Reise antreten. Es
ging per Post über Wolffenbüttel, Halberstadt und Bernburg nach Halle, wo damals die ge-
fürchtete Cholera herrschte, und er die Gewißheit bekam, daß die Seuche auch in Teplitz aus-
gebrochen war. Ohne weitere ärztliche Rücksprache beschloß er, nach Carlsbad zu gehen,
weil er wohl glauben mochte, Wasser sei Wasser. Halle durfte er, um später keine Quarantäne-
Schwierigkeiten zu haben, nicht passieren; er ging in einem großen Bogen zu Fuße um die
Stadt herum, fast unglaublich, wie er das ausführen konnte; aber mit seiner gewaltigen Willens
kraft setzte er Alles durch, was er ernstlich wollte. Von Halle gelangte er über Altenburg,
Zwickau und Scheeberg nach Carlsbad, wo er wiederum ohne ärztlichen Beirath eine Trink-
kur sofort mit einer ziemlichen Menge Becher Sprudel begann. Die Kur bekam ihm, wie ein
kurz geführtes Tagebuch erweist, schlecht, und nachdem die Cholera in Teplitz aufgehört ha-
ben sollte, begab er sich dorthin, wo es ihm, vielleicht in Folge der schädlichen Nachwirkun-
gen von Carlsbad, noch schlechter erging. Er trat die Rückreise über Pilnitz, Dresden, Leipzig
und Aschersleben nach Braunschweig an und kam eher kränker als gesunder zurück.
Sein Zustand war ihm so bedenklich erschienen, daß er vor der Reise am 5. Juli 1832 ein nach
Braunschweigischem Rechte gültiges Privat-Testament vor 7 Zeugen errichtet hatte. Dasselbe
enthielt Bestimmungen, welche theils ausgeführt sind, theils unter den veränderten Umstän-
den nicht ausgeführt werden konnten.. Als für seinen Sohn zu conservierende Sachen wurden
unter Anderen der Henniges’sche Brillantenschmuck und seine Meerschaumpfeife mit silber-
ner Kette bezeichnet. Den Beruf als Soldat wünschte er nicht für seinen Sohn, „da im Militär-
fache häufig blindes Glück und Zufall mehr den Mann macht, als Kenntnisse und wirkliches
Verdienst.“ Zum Vormunde war der Rittmeister und Doctor Meier designiert. Das Testament
war eigentlich mit der glücklich überstandenen Gefahr zusammengefallen, und wurde auch
von dem Rittmeister als nicht vorhanden betrachtet.
Bald nach der Rückkehr vom Bade tauchte der Plan auf, die ganze Wirthschaft nach Sandau
zu verlegen. Das väterliche Haus stand offen, es hielten dort nach dem Tode der Eltern die 3
jüngsten, unverheiratheten Schwestern einschließlich der Emilie mit beschränkten Mitteln
Haus; es schien daher für alle Theile wünschenswerth, wenn der Rittmeister seine Einkünfte
zulegte und dafür um so sorgsamere Pflege finden konnte. An Braunschweig hielt ihn nach
dem Tode seiner Frau und bei seiner zunehmenden Kränklichkeit Nichts von großem Belang.
Er erhielt die landesherrliche Erlaubnis, und die Übersiedlung wurde schon zu Ostern 1833
bewerkstelligt. Nun war der Rittmeister der Wirklichkeit nach wieder Preuße, was er eigent-
lich nach seinem Gefühle niemals aufgehört hatte zu sein; juristisch mochte er freilich wohl
noch etwas als Braunschweiger angesehen werden müssen. Es hat indessen Niemand Veran-
lassung näher danach zu fragen und er galt allgemein als Preuße.
Die Einrichtung war bald getroffen. Die kleine Stube links vom Eintritt wurde des Rittmei-
sters Stube, wo er nicht fern vom Ofen in seinem rothen, schwarzgeblümten Lehnstuhle zu
sitzen pflegte. Die größere wurde die Staatsstube und die dahinterliegende nach dem Hofe das
Schlafzimmer. Das übrige Haus blieb den Geschwistern. Von dieser Zeit ab kehrte wieder
Wohlstand ein. Der Rittmeister unterhielt ziemlich die ganze Wirthschaft, wodurch es den
Schwestern, namentlich der Emilie bei Sparsamkeit möglich wurde, ein kleines Capital zu
sammeln.
Anfangs ging es ziemlich lebendig her. Es kam Besuch, es wurden kleine Gesellschaften ge-
geben, und selbst der Rittmeister besuchte hie und da, freilich nur sehr selten, Gesellschaften
in der Stadt. Es war ihm auch noch möglich, kleine Reisen zu seiner Schwester nach Legde
und selbst ins Braunschweigische zu unternehmen. Mit der Zeit wurde es stiller und stiller.
Die Gesellschaften machten zu viel Beschwerden und wurden seltener, deshalb blieben auch
die Bekannten, welche sonst auch uneingeladen kamen, aus. Es verzogen und verstarben auch
manche. Zuletzt blieb nur noch der Superintendent Döring sein unermüdlicher treuer Freund
und besuchte ihn mit einer gewissen Regelmäßigkeit, um einen Abend über die Schmerzen
wegplaudern zu helfen. Die Wege der Vorsehung sind wunderbar: Der Rittmeister zog in der
Fülle seiner Kraft und Jugend aus, nach mancherlei Irrfahrten kehrte er als gebrechlicher
Mann in sein Geburtshaus zurück, um in dem stillen Hafen das Ende seiner Laufbahn zu er-
warten. Man denke sich aber ja keine elende und traurige Gestalt: es sah dem Rittmeister
wahrlich Niemand ein schweres Leiden an, wenn er mit seiner kräftigen Brust und seinen
starken Armen in seinem Stuhle saß. Sein Geist war vollkommen rege, Runzeln des Alters
hat er nie bekommen, nur war die linke Backe und ein Theil der Stirn durch einen Ausschlag
benarbt, welchen die Homöopathen hatten um sich greifen lassen, die Allopathen aber sofort
ohne Nachtheil heilten. Sein blaues Auge blieb so hell und klar wie es je gewesen, als sein
Haar spärlicher wurde, bedeckte er sich mit einem Käppchen, welches er aber in Gesellschaft
von dannen ablegte; denn er war ein rücksichtsvoller und galanter Mann und blieb stets ein
zuvorkommender und angenehmer Gesellschafter.
Noch in demselben Jahre 1833 unternahm er eine zweite Badereise nach Teplitz, abermals in
Begleitung von Malge Kunkel, welche ihm in treuer Anhänglichkeit nach Sandau gefolgt war.
Die Kur half abermals Nichts. Später ging er noch auf 3 Monate in eine Kaltwasserheilanstalt
nach Burg, welche ihm unzweifelhaft Besserung, leider nur vorübergehend verschaffte. Viel-
leicht hätte ihm das kalte Wasser helfen können, wenn ihm bei rechten Zeiten dessen Ge-
brauch angerathen wäre.
Von Jahr zu Jahr war er auf sein Ende gefaßt und gefaßter. Sein Sohn ging inzwischen auf
Schulen und auf Universitäten; jeder Abschied wurde ihm über die Maaßen schwer und er
mußte die Besorgnis aussprechen, daß sie sich auf dieser Erde nicht wiedersehen möchten.
Indessen Gott hatte es in seiner Güte und Weisheit anders beschlossen. Er erlebte nicht nur
die anständige Versorgung seines einzigen Sohnes, sondern er sah denselben auch zu seiner
vollsten Zufriedenheit verheirathet. Er konnte auf dessen Hochzeit ohne alle Beschwerden ein
Paar Flaschen starken Wein ausstechen. Sein Magen war beneidenswerth gut, er konnte, wie
man zu sagen pflegte, Kieselsteine verdauen, und als rechtschaffener Trinker, der nicht so
leicht über den Haufen zu stoßen war, war er von jeher unter seinen Kriegsgefährten berühmt.
Es war ihm auch noch wider all sein Erwarten vergönnt, die Geburt seiner drei Enkel, seiner
Augäpfel, zu erleben und dieselben zu wiederholten Malen um sich versammmelt zu sehen.
Nach der Heirath seines Sohnes setzte er einen Brief an denselben auf, welcher sich bei dem
Tode unter seinem Nachlasse vorfand. Er ist so sehr der Ausdruck seines edlen, wohltätigen
und für die Seinigen rastlo sorgsamen Gemüthes, daß er zur Beherzigung aller Nachkommen
hier wörtlich mitzutheilen ist.
Er lautet:
Mein lieber Sohn.
Mit meiner Gesundheit wird es fortwährend schlechter, und ich muß über kurz oder lang ein
rasches Dahinscheiden meiner Lebenskräfte entgegensehen. Dazu kommt, daß ich jetzt nicht
mehr die Aussicht habe, Dich, wenn es nöthig sein sollte, ohne Zeitverlust bey mir zu sehen,
und daß ich überhaupt meine letzten Stunden nicht mit Hinterlassenschaftsangelegenheiten zu
verwenden haben möchte. Dies sind die Gründe dieses meines Abschiedsbriefes an Dich und
meine Lieben, die mir zunächst stehen, aus dieser Welt. Du warst ja immer mein lieber Sohn
und meine ganze Freude, betrugst Dich als Jüngling und als Mann fortwährend anständig und
gut, wenngleich einige Streitlust und Rechthabenwolle immer daraus hervorblickte. Deinem
Herzen und Deiner Denkungsweise, auch gegen Hülfsbedürftige, kann ich nur Gerechtigkeit
widerfahren lassen, bei letzterem bemerke ich nur, daß in der Stille wohlthun angenehmer ist,
als durch fremde Veranlassung.
Als Mensch, als Geschäftsmann und in jeder anderen Lage in der Welt liege Dir Dein beson-
ders guter Ruf vorzüglich am Herzen; wie dieser zu erlangen? Sagt Dir schon Dein eigener
Verstand – durch Schätzung (ohne Stolz) Deiner eigenen Person, und durch Güte und Wohl-
wollen gegen Andere. Deine gute Emmi und die nahen Deinigen höre nie auf zu lieben und
zu achten, besonders empfehle ich Dir Emilie an, die nach meinem Tode ganz allein dasteht.
Es wird nicht nothwendig sein, Dich auf die Erhaltung und Pflege Deiner Gesundheit auf-
merksam zu machen, denn dies liegt Dir selbst zu nahe am Herzen.
Nun komme ich auf meine Hinterlassenschaft, welche Du wahrscheinlich nicht so bedeutend
erwartet hast, als sie ist.
Von mir bekommst Du
----------------------------------------------------------
6400 Thaler
als mein und Dein Erbtheil an dem Vermögen Deiner seeligen Mutter
Als Ersparnis Deiner seeligen Tante Böttcher, welches Zins auf Zins
gerechnet jetzt die bedeutende Summe von
-----------------------------------
7600 Thaler
trägt und welche Du erst mit meinem Vermögen erhalten sollst in Summa 14000 Thaler
nach beyliegendem Ausweis.
Obgleich ich den Antrag meiner seeligen Schwester, dieser Privatersparnisse wegen immer
nicht ganz billigen konnte, so bewog mich doch ihre unbestreitbare Überzeugung: daß ihr
Mann nach ihrem Tode noch ein bedeutendes Vermögen besitze, zur Annahme dieser Ver-
waltung.
Der Brillantschmuck ist natürlich für Deine Emmi, jedoch so, daß er immer zusammen bleibe
und ein Butzesches Erbtheil ausmache.
Das Silberzeug, bestehend in 2 Suppenkellen, 1 ½Dutzend Esslöffel, ein Dutzend Theelöffel
und eine Zuckerzange, hat Emilie in Verwahrung und wird Dir solches übergeben, so wie Du
auch Herr von alle dem bist, was mein war.
Gern wäre ich noch lange bey Euch geblieben, um in Eurem lieben Kreise und einer werden-
den Nachkommenschaft, Ersatz für so manche Sorgen meines Lebens und langer Krankheit
zu genießen; allein mein nicht unbedeutendes Alter macht meine Lebenskräfte schwinden
und nicht lange, werde ich nicht mehr sein.
Macht Euch deshalb nicht zu viel Kummer, Ihr, meine Lieben, mir kann und wird es in jener
Welt nur gut sein, denn ich nehme ein, von allen Vorwürfen freies Gewissen, zum Stuhl des
Herrn mit mir, und verspreche mir davon, nach meiner menschlichen Ansicht, wenngleich
nicht einen vollkommenen Himmel, doch ein vollkommeneres Sein:
Und so lebe denn Du, mein lieber Wilhelm, mit Deiner guten Emmi und alle ihr meine Lieben
zunächst stehenden, glücklich und zufrieden und denket schon früh daran: Daß ein reiner
Geist den Übertritt in das unnennbare Jenseits nicht allein hier schon erleichtert, sondern auch
dort eine gute Stellung in dem unermeßlichen Reiche des Herren uns vergewissern wird.
Amen!
Auch wenn ich nicht mehr unter den Lebenden bin, denke zuweilen mit Liebe und einiger
Achtung Deines Vaters
Sandau, d. 1. März 1851 Butze
Der in dem Briefe bezogene Ausweis ist 10 Jahre jünger als der Brief selbst; vermuthlich
wurde die ursprüngliche Nachweisung als nicht mehr passend – der Rittmeister überließ nach
und nach verschiedene Capitalien ihm gehörige seinem Sohne – cassirt und die späteren an
ihre Stelle gesetzt. Sie lautet:
Den 18. März 1861Nach Deiner Verheirathung, mein Sohn, hast Du baar bekommen:
Dein mütterliches Vermögen, die 2000 Thlr. in baar, so zu Deiner
Erziehung ausgesetzt waren, und 500 Thlr., so ich Dir aus Versehen
mitgab. 4741 Thlr. von mir und von der Hinterlassenschaft Deiner
Tante hast Du bereits bekommen:
(Anm. Von den 5 Eisenbahnscheinen habe ich über 600 Thlr. eingebüßt.)
Aus der Verloosung von 28 Stück Prämienscheinen, hier sind die 1000 Thlr. für die Kinder
mit eingeschlossen
---------------------------------
2865 Thlr.
die Sokolnickische Obligation 3000 Thlr.
2 Eisenbahnaktien 200 Thlr.
für Hans
30 Fr d’or170Thlr. = 6235 Thlr.
Ich bin noch im Besitze von Obligationen über 2200 Thlr.
5 Eisenbahnscheinen à 210 Thlr. 1100 Thlr.
von Salomon für Kaufmann Schmidt 150Thlr.
ein Staatsschuldschein, v. Baushen84 Thlr. = 3534 Thlr.
zu meiner Bestattung bleiben 20 Fr. d’or = 14510 Thlr.
Es wäre überflüssig, dem umstehenden Briefe, für den Sohn eine unschätzbare Reliquie, auch
nur ein Wort hinzufügen zu wollen. Zum Verständnis ist nur zu bemerken, daß Wilhelmine
Böttcher geb. Butze aus früheren Ersparnissen und ihren Einnahmen an Butter und dergl. ein
Capital angesammelt hatte, welches sie nebst einer Quantität Leinwand an die Butzes nach
Sandau gegeben hatte, um es für den Fall ihres Ablebens ihrem Neffen, dem Sohn des Ritt-
meisters, zu erhalten, weil sie nicht mehr wußte, in wieweit derselbe testamentarisch bedacht
war. Übrigens war die Existenz eines solchen Capitals für ihren Ehemann nicht, wie sie
glaubten, ein Geheimnis; er wußte sehr wohl darum, wenn er auch die Höhe nicht kannte,
ließ aber seine Frau gewähren.
Der in der Anlage beklagte Verlust an den 5 Eisenbahnscheinen, Berlin-Anhalter Stammak-
tien, war nicht so schlimm; wenige Jahre nach dem Tode des Rittmeisters waren sie schon
auf über 200 % gestiegen, während der Rittmeister den höchsten Curs während seines Lebens
170 – 180 %, nicht verschmerzen konnte.
Einige Jahre vor der Zeit dieses Briefes hatten der Rittmeister und sein Sohn ihren Antheil,
welchen sie durch Friederike geb. Henniges an dem Schöninger Schlosse und den Äckern
überkamen, an Hilmar v. Strombeckk verkauft. Die Kaufsumme war nicht beträchtlich. Über-
haupt standen Vater und Sohn in so gutem Einvernehmen, daß sie Nichts von Wichtigkeit
Einer ohne den Anderen thaten: Der Vater setzte den Sohn von dem in Kenntnis, was er unter-
nehmen wollte, der Sohn handelte nicht ohne den Rath des Vaters.
Es blieb den Seinigen nicht verborgen, daß in der letzten Zeit die Lebenskräfte sichtlich ab-
nahmen, indessen sie waren Leiden aller Art an ihm gewohnt geworden und hatten oft genug
gesehen, daß seine kräftige Natur auch außerordentliche Zufälle glücklich überwand, so daß
sie immer die Hoffnung nicht verließ, wenn sie sich auch sagen mußten, daß seine Tage ge-
zählt seien.
Er lebte schon ziemlich zurückgezogen und saß meistentheils allein in seinem Sorgenstuhle.
Er lebte nur vollständig wieder auf, wenn sein Sohn mit der Schwiegertochter und den Enkeln
bei ihm waren, was jeden Sommer auf einige Wochen geschah. Dann vergaß er seine
Schmerzen und konnte über die Drolligkeit der Kinder recht herzlich lachen. Sie hatten alles
Mögliche zu sorgen, daß er die Kleinen nicht vollständig verzog und ihnen die Mägen mit al-
lerhand Süßigkeiten, die er in der Tasche oder in seinem Schranke hatte, verdarb. Der Sohn
versäumte auch ohne unübersteigliche Hindernisse niemals zum Geburtstage am 10. März,
welcher immer eine kleine Familienfeier abgab, in Sandau zu erscheinen.
Er verließ bereits sein Zimmer nur selten, und war nur mit kräftiger Beihülfe aus der Kammer
und wieder hinein zu bringen, in den letzten Jahren diente dazu ein Stuhl mit Rollen. Er aß
auch gewöhnlich auf seinem Zimmer allein und ohne Appetit. „Ens hat so all ruckt“, d.h. mit
dem Stuhle beim Anziehen, sagte früher das Mädchen zum Zeichen, daß das Essen bald fertig
sein müsse. Nach vollständig vollendetem und sauberen Anzuge ging er dann an seinem Stock
später noch geführt, zu Tisch nach der Stube der Schwestern, rechts des Hausflurs. Dabei un-
terließ er niemals, sich noch in der Thüre von dem Stande des Barometers zu vergewissern,
obgleich dieses alte Instrument nie richtig und zuletzt gar nicht mehr ging; im Winter gab es
oft Streit, weil seine Beobachtung mitunter langsam von Statten ging und dabei die Stuben-
thüre offen stehen blieb. Wind und Wetter interessierten ihn überhaupt auf das Lebhafteste
und danach war des Morgens seine erste Frage. Im Frühjahr konnte er die Zeit gar nicht er-
warten, daß die kleinen Lindenknöspchen sich zu Blättern entfalteten, und wenn einmal ein
Nachtfrost den Fortschritt unterbrach, prophezeite er allerhand Unheil und schlechtes Jahr.
Sobald die Sonne recht warm schien und je heißer desto besser, denn Wärme liebte er unge-
mein, saß er jeden Nachmittag mit der Cigarre und der Tasse Kaffee auf der Bank vor der
Thür, um die frische Luft zu genießen, auch mit diesem oder jenem Vorübergehenden ein
Wörtchen zu wechseln.
Das hatte sich mit den Jahren mehr und mehr geändert: er sah die kleine Sandauer Welt fast
nur noch, so weit sie vor seinen Fensterscheiben vorüberpassierte. Einer Brille mußte er sich
zum Lesen oder Schreiben schon längst bedienen, meist lag sie ohne Futteral auf seinem
Drehtische und die Gläser waren so unrein, daß es nicht zu begreifen war, wie er dadurch
sehen könnte. In der Ferne blieb sein Auge vortrefflich, ebenso auch sein feines Gehör.
Dagegen verlor sich sein Geschmack fast gänzlich und wurde nur noch durch die Einbildung
ersetzt. Ein Glas Wein bei Tische, sonst seine Lieblingsbeschäftigung, war ihm nur noch
durch Überredung anzukriegen, dagegen trank er jeden Nachmittag ein Seidel-Glas in Havel-
berg gebrautes Bayrisches Bier, was er sonst eigentlich für ein eines anständigen Mannes un-
würdiges Getränk erachtete; er ließ es sich aber wärmen und so vorsichtig einschänken, daß
nicht die Spur von Schaum entstehen durfte. Kurz, die Gebrechlichkeiten des Alters machten
sich mehr und mehr geltend, am auffälligsten an der sich einstellenden Gedächtnisschwäche,
welche ihn bei seinen Erzählungen nicht selten zum Schrecken der Schwester die Personen
verwechseln ließ.
Er klagte weit mehr als sonst, mochten nun seine Schmerzen größer oder seine Widerstands-
kraft geringer geworden sein; er hatte niemals geschlafen und konnte ordentlich ärgerlich
werden, wenn sie ihm nachwiesen, daß er sich wenigstens eine Zeit lang eines festen Schlafes
erfreut hatte. Die schlaflosen und dadurch doppelt schmerzhaften Nächte waren aber in der
That während seiner ganzen Krankheit die schlimmsten.
Unter so trüben Aussichten für die Seinigen war das Jahr 1862 herangekommen. Sein Sohn
wohnte in Berlin und die Nachrichten lauteten schlecht, wenn sie auch keine augenblickliche
Gefahr befürchten ließen. Am 10. März war sein 80. Geburtstag, Sohn und Schwiegertochter
waren natürlich da und verehrten ihm zu diesem immerhin seltenen Feste einen silbernen
Pokal mit entsprechender Inschrift, den er sichtlich erfreut annahm und wiederholentlich be-
nutzt hat. Er aß ausnahmsweise an diesem Tage am allgemeinen Tische in der Schwester
Stube, und seine Schwiegertochter, deren kleine Wünsche er so gern erfüllte, hatte ihn sogar
vermocht, seine Orden anzulegen. Es ging alles nach den Umständen gut, und man schöpfte
wieder Hoffnung, da sich herausstellte, daß der Rittmeister die Befürchtung, vor seinem 80.
Geburtstage plötzlich abberufen zu werden, ohne seine Lieben nochmals zu sehen, beun-
ruhigt hatte.
Im Mai desselben Jahres kamen die Schwiegertochter und die beiden Enkel Anna und Hans
nochmals nach Sandau. Der Rittmeister konnte sich ihrer Gegenwart noch vollständig erfreu-
en; aber er hatte doch einen bedenklichen Eindruck gemacht, so daß sein Sohn Ende Mai
oder Anfang Juni abermals herbeireiste.
Der Rittmeister verließ das Bette nicht mehr, er genoß kaum etwas Nennenswerthes, die
Kräfte des Körpers und des Geistes waren offenbar herabgestimmt, obwohl er sich seiner und
seiner Umgebung noch vollständig bewußt war. Der Arzt glaubte an einen späteren, unbe-
stimmten Ausgang, aber das Auge des lieben Sohnes sah schärfer. Der unerbittliche Tod war
herangetreten. Der Rittmeister hatte immer befürchtet, plöötzlich und unversehends diese
Welt verlassen zu müssen. Aber so kam es nicht: die eiserne Natur erwehrte sich ihrer Auflö-
sung, und der Tod mußte sein Opfer Stück für Stück erobern. Mit Schmerzen mußte der
Sohn sehen, daß die Auflösung von Stunde zu Stunde langsam, aber sichere Fortschritte
machte; es war eine traurige und aufregende Lage, aber dennoch dankte er seinem Schöpfer
daß er da sein konnte!
Der Rittmeister genoß nur Wasser, mit etwas Rheinwein gemischt, zeitweise auch rein. Er
schlummerte viel; noch erkannte er seine Umgebung, gab seine Wünsche deutlich zu erken-
nen, sprach auch mitunter. Ein kleiner Finke ließ sich regelmäßig des Nachmittags auf dem
Firste der Scheune nieder und begrüßte den Frühling mit seinem munteren Schlage; darüber
hatte der Todkranke seine herzliche Freude. Die Besinnung verlor sich zusehends, er fühlte
wohl beim Erwachen aus seinem Schlummer, daß sein Sohn bei ihm war, aber zu einem kla-
ren Bewusstsein der Lage kam er wohl nicht. Unser Herr Gott wird gegeben haben, daß er
auch die Schmerzen, von denen sein Körper durchzuckt wurde, nicht fühlte. Er sprach nicht
mehr, bewegte aber viel und schnell die Lippen; hatte er noch etwas zu bestellen und was war
es? Es war unmöglich, ein verständliches Zeichen zu erhaschen; der Tod hatte in seiner Zer-
störung einen beträchtlichen Fortschritt gemacht.
Am 7. Juni, dem Sonnabend vor dem Pfingstfeste, gegen Mittag wurde durch einen Reisen-
den aus Sandau der älteste Enkel Wilhelm Butze mit von Berlin gebracht, um seinem Groß-
vater das letzte Lebewohl zu sagen. Seinem Vater war der Anblick seines Jungen ein wahrer
Herzenstrost; aber der Zustand des Kranken war bereits ein verzweifelter, und sie sorgten
sich, daß das arme Kind unerkannt das Totenbette verlassen müßte. Der Großvater war gera-
de erwacht, seine Augen flogen einige Male umher, als ob er etwas Außergewöhnliches
suche, da erfaßte sein Blick den in seinen Gesichtskreis gestellten Enkel – und erkannte ihn
auch sofort! Eine Verklärung der Glückseligkeit bereitete sich über seine Züge; der Knabe
mußte näher treten, er drückte ihm die Hand, so gut er es vermochte, und küßte ihn. Ver-
ständliches sprach er nicht, - er ertheilte dem Enkel seinen letzten stummen Segen.
Es war ein Augenblick der Andacht und Rührung. Das war die letzte sichtbare Freude, wel-
che dem Sterbenden auf dieser Erde zu Theil geworden ist. Ernst Wilhelm Butze war noch
zu jung, um den tiefen Ernst des Augenblickes erfassen zu können, aber er wird es während
seines Lebens nicht vergessen, daß es ihm vergönnt gewesen ist, seinen ihn über Alles lie-
benden Großvater die letzte irdische Freude zu bereiten, und dessen Segen von den zittern-
den Händen und den flüsternden Lippen des Sterbenden empfangen zu haben. Möge ihn die-
ser Segen eine reiche Quelle des Glückes und der inneren Zufriedenheit gewähren, aber sei
er auch stets eingedenk, daß er, um diesen Segen zu verdienen, doppelt bestrebt sein muß,
seinen seeligen Großvater an Herze und Gemüth ähnlich zu werden.
Nach einiger Zeit mußte der Knabe wieder entfernt werden. Der Rittmeister war ganz glück-
lich; sein letzter Wunsch, der halb bewußt im Inneren seines Herzens geschlummert hatte,
schien erfüllt. Die Besinnung hatte sich vollkommen wieder gefunden, er fragte den Sohn
nach allen seinen Verhältnissen, die plötzlich wieder vor seinem Geiste aufgetaucht waren.
Er bestellte für die theure Schwiegertochter und für die geliebten beiden Enkel Anna und
Hans Butze sein letztes Lebewohl und ertheilte auch den Abwesenden seinen herzlichen
Segen.
Seine Sinne schienen sich wieder zu verwirren, seine Sprache wurde undeutlich und sank zu
einem unverständlichenFlüstern, bis er wieder in Schlummer verfiel. Obwohl er öfter er-
wachte, so fand sich seine Besinnung nicht wieder ein, der altersmatte Körper kämpfte sei-
nen letzten Kampf um das Fünkchen Leben, aber es schien kein schwerer Kampf. Der Super-
intendent Döring sah am Abend seinen alten Freund zum letzten Male mit thränendem Auge.
Am anderen Vormittag trat der Enkel Wilhelm nochmals an das Lager; der Großvater sah ihn
allein mit mattem und schwerem Blicke; es schien ein freudiges Lächeln über seine Züge zu
gleiten, allein es erstarb vor dem vollen Erblühen. Die Umstehenden vermochten nicht zu
bestimmen, ob er noch Jemanden mit Sicherheit erkannt habe. Seitdem blieb er besinnungs-
los meist im Halbschlummer.
Gegen Morgen des folgenden Tages wurde der Sohn, der in der Stube nebenan eine kurze
Ruhe gesucht hatte, erweckt. Der Kranke lag wie in sachtem Schlaf; aber eine innere Stimme
sagte dem Sohne, er wußte selbst nicht, wie?, mit trostloser Überzeugung, daß der schwerste
Augenblick nahe sei. Er schickte zu der Schwester – da stand plötzlich der schwache Athem
still, ohne jegliche Beunruhigung, ohne den leisesten Ruck des Körpers hatte die theure Seele
ihre körperliche Hülle verlassen. Es war am Pfingstmontag, den 9. Juni 1862, des Morgens
zwischen 4 und 5 Uhr.
Gott hatte es so gnädig gefügt, daß der Sohn den letzten Athemzug des Vaters vernehmen
und die letzte Sohnespflicht erfüllen konnte! Unmittelbar darauf erschien die Schwester
Emilie, sie standen an dem Lager des Verblichenen, sanken sich weinend in die Arme und
gelobten sich, einander nicht zu verlassen. Als die Laden und Fenster der Sterbekammer seit
langer Zeit zum ersten Male geöffnet wurden, drang der helle Morgen herein; die alte Kuh
sah mit ihren großen Augen so wehmüthig und theilnehmend herauf, als wüßte sie, was ge-
schehen war und wollte der trauernden Familie auch ihr Beileid bezeugen.
Folgenden Tages kam die Sohnesfrau Emmy Butze von Berlin. Die unendlichen Kondolen-
zen und Vorbereitungen zum Begräbnisse mußten durchgemacht werden und ließen eigent-
lich Niemanden recht zur Besinnung kommen.
Endlich war alles überstanden, der mit Kränzen und grünen Girlanden bedeckte Sarg nahm
den Todten auf. Der Deckel wurde befestigt und entzog den Hinterbliebenden den Anblick
der verklärten Züge für immer, der Schako mit dem Totenkopfe, Säbel und Säbeltasche und
die Orden waren darauf gelegt. Die Jäger, meist Nachbarn, waren von dem Sohne ordnungs-
mäßig bewirthet; der Todte überschritt am Donnerstag, den 12. Juni 1862, des Morgens um
8 Uhr zum letzten Male die Schwelle des Hauses und der Trauerzug setzte sich in Bewe-
gung. Er war nur klein, die wenigen Freunde und Bekannte aus alter Zeit, die zum Theil
mühselig herbeigekommen waren, dem Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen; für die
jüngere Generation war er schon längst nicht mehr da. Der Sohn mit seinem ältesten Sohne
waren die nächsten Leidtragenden und die einzigen Begleiter, die den Namen Butze führten.
Der Sarg schwankte unter dem Geläute der Glocken langsam vor ihnen her dem neuen
Kirchhofe vor dem Schleusenthore zu, wo sie ihn neben seiner vorangegangenen Lieblings-
schwester Philippine in das Erbbegräbnis betten wollten. Da wankten die 3 Wilhelms der
Familie, der eine stumm und kalt in seinem letzten Hause, der andere tief betrübt, über die
Mitte des Lebens hinaus, aber noch im Ringen und Streben für sich und die Seinigen, an der
Hand den jüngsten Wilhelm, der dem Leben erst entgegenschaute und in seinen kindlichen
Thränen die Bedeutung des Zuges wohl fühlte, wenn auch nicht vollständig begriff.
Der alte Freund Döring sprach am offenen Grabe die Leichenrede, man senkte den Sarg hin-
ein, Sohn und Enkel warfen die ersten Hände voll Erde darauf, der polternde, schaurige Ton
verklang und bald wölbte sich der Hügel über den Unvergessenen. Man sprach ein stilles
Gebet für die Seele des Dahingeschiedenen und der Sohn, nunmehr leider das Haupt der Fa-
milie, begab sich mit dem Enkel, nunmehr deren nächste Hoffnung allein und auf unbekann-
ten Wegen in das stille Trauerhaus zurück.
Nun erst fehlte der Seelige. Alle empfanden tief den bitteren Verlust, wenn sie auch längst
darauf vorbereitet waren; vielleicht am schwersten war die Schwester Emilie betroffen, wel-
che nun ganz allein stand. Auch die Armen und Hülfsbedürftigen hatten eine gute Stütze
verloren. Er fehlte überall und das Sandauer Haus wurde nie wieder, was es gewesen war.
Auch der kleine Fink setzte sich noch öfter auf das Scheunendach, aber der Todte konnte
seinen Schlag nicht mehr hören.
Von einer Seite, die den Verblichenen übrigens gar nicht kannte, war die Christliche Gesin-
nung des Rittmeisters angezweifelt. Es ist wahr, daß er an den äußeren Gebräuchen der Kir-
che nicht Theil nahm, was ja auch bei seinem Leiden nicht thunlich war; er hat auch in sei-
nen letzten Stunden niemals nach priesterlichem Beistand verlangt.. Aber er war ein Christ
in der wahren Bedeutung des Wortes, fern von aller Ostentation und Scheinheiligkeit, und
von seiner Gottesfurcht gibt der Abschiedsbrief an seinen Sohn vom 1. März 1851 den un-
trüglichsten Beweis. Wohl dem Manne, der mit so ruhigem Gewissen und voller Ergebenheit
vor den Richterstuhl des ewigen Gottes hintreten kann! Amen.
Nach dem mündlichen Willen des Seeligen wurden für die Armen zu Sandau an den Bürger-
meister von Baushen 50 Thlr. ausgezahlt. Für die langjährige Dienstmagd des Hauses hatte
er früher 100 Thlr. bestimmt; der Sohn glaubte dieselben in Anbetracht der treuen und auf-
opfernden Dienste, welche sie unermüdlich während der Todeskrankheit geleistet hatte, auf
200 Thlr. erhöhen zu müssen.
Das Erbbegräbnis, welches für Dreie Raum hat, wurde mit einem eisernen Gitter umschlos-
sen und eine eiserne Votivtafel zu Häupten des Grabes befestigt.
Von dem Rittmeister sind außer dem silbernen Geburtstagspokale verschiedene Andenken
für die Familie vorhanden. Ihre besondere kleine Geschichte haben die silberne Taschenuhr
ohne Glas und der Schreibsekretär von Mahagoniholz.. Die Uhr rettete ihm in seinen jungen
Jahren das Leben; ein unbändiges Reitpferd schlug nach ihm und traf ihn so heftig an den
Unterleib, glücklicher Weise auf die Uhr, daß das thalerstarke Silber verbogen wurde; der da
durch gemilderte Schlag hatte keine nachhaltigen üblen Folgen; nur die Spitze des Ringfin-
gers an der einen Hand blieb zeitlebens ein wenig dicker und der Fingernagel etwas nach
Innen gekrümmt. Den Sekretär hatte er sich von dem einzigen Lotteriegewinn, der ihm im
Leben beschieden wurde, nach seinen eigenen Angaben noch in Helmstedt bauen lassen. Er
spielte stets in der Lotterie, erst in Braunschweig, dann in Preußen; er wollte durchaus einen
Hauptgewinn machen, für seinen Sohn und seine Enkel; es wurden Pläne für die Verwen-
dung des Geldes entworfen. „Breck em dat Krüz nicht entzwei“, hieß es dann wie bei jenem
Bauern, der seinen Sohn durchprügelte, weil dieser das erwartete Füllen reiten und dadurch
das Kreuz in Gefahr bringen wollte; aber das Füllen kam nachher todt zur Welt! Mit einiger
Erwartung wurden die Listen studiert, aber es gab unfehlbar eine Niete, wodurch die Hoff-
nung für die künftige Ziehung nur noch größer wurde. Sein Sohn, der Reg.Rath Gottfried
Wilhelm hat dieses unfruchtbare Geschäft nicht fortgesetzt.
Der Rittmeister war Ritter dreier Braunschweigischer Orden. Für den Feldzug von 1809 er-
hielt er ein goldenes Kreuz an kornblauem Bande mit der Unterschrift:“Für Treue und Tap-
ferkeit“; für die Dienste in Spanien eine silberne Medaille an carmoisinrothem Bande mit
der Inschrift „Peninsula“. Von beiden Verleihungen wurde er durch Verfügung des General-
majors v. Herzberg, damaligen Commandeurs des Braunschweigischen Truppencorps vom
3. November 1824 in Kenntnis gesetzt. Durch das vom Herzog Wilhelm am 1. April 1859
vollzogene Patent wurde ihm das Ritterkreuz des neugestifteten Ordens Heinrichs des
Löwen verliehen.
Der Familie sind mehrere Portraits des Rittmeisters erhalten. Zuerst eine Silhoutte aus seiner
frühesten Jugend, ähnlich der vom älteren Bruder, mit Stöckchen, Hut und angehendem
Zöpfchen. Dann ein im Jahre 1809 oder 1810 zu Cork in Irland mit Oelfarben auf Elfenbein
gemaltes Miniaturbild, welches ganz vorzüglich ähnlich gewesen sein soll. Dann wurde zu-
nächst eine größere Photographie in Farben genommen und später durch Rosa Petzel ein
sehr gelungenes Oelbild als Pendant zu dem seiner Ehefrau danach angefertigt. Endlich hat
der Maler Wolze im Jahre 1849 ein sehr getroffenes Brustbild in schwarzer Kreide gezeich-
net. Auf der Rückseite hat der Rittmeister eigenhändig die Zeit der Anfertigung und daß er
damals sein 67. Lebensjahr zurückgelegt habe, vermerkt.
Von der Friederike Butze geb. Henniges ist ein Pastellbild vorhanden, welches etwa in der-
selben Zeit entstanden sein mag, wie das Miniaturportrait des Rittmeisters. Bei der Vergäng-
lichkeit des Pastelles hat Rosa Petzel dieses Bild täuschend ähnlich in Oel kopiert.
Friederike geb. Henniges hat in die Butzesche Familie hauptsächlich den schon beschriebe-
nen Allraun und ihren Brillantschmuck gebracht, welcher letztere von dem Rittmeister
durch den Brief vom 1. März 1851 zu einem untheilbaren und unveräußerlichen Butzeschen
Erbtheile bestimmt ist.
___________________________
Die Inschrift der Votivtafel des Butzeschen Erbbegräbnisses auf dem neuen Kirchhofe zu
Sandau lautet:
Hier ruhet in Gott
Carl Friedrich Wilhelm
Butze
Weiland Rittmeister und Adjutant bei den
schwarzen Husaren des Herzogs von Braunschweig Oels,
Ritter mehrere Orden, geb. zu Sandau am 10. März 1782
gestorben daselbst am 2. Juni 1862
Der Rittmeister Karl
Friedrich Wilhelm Butze
bei dem Feldzuge in Spanien unter Wellington 1811 bis 1813
In dem Nachlasse des Rittmeisters sind zwei gedruckte Bücher über die Erlebnisse des
schwarzen Corps in Spanien und Italien vorgefunden: 1. Ansichten, Beobachtungen und
Erfahrungen pp. von Heusinger, Braunschweig bei G.C.E. Meyer 1825 und 2. Erinnerungen
an das schwarze Corps von v. Frankenberg-Ludwigsdorff, Braunschweig bei C.A.
Schwetschke und Sohn, 1859
Wir haben im vorigen Capitel gelesen, daß Karl Friedrich Wilhelm vom Herzog von Braun-
schweig bestimmt war, die nach Spanien abgehenden Braunschweigischen Truppen zu be-
gleiten; er wurde Adjutant bei Lord William Bentinch, welcher ein größeres Corps befehligte.
Den Oberbefehl über die Englische Armee führte bekanntlich der Herzog von Wellington.
Die Uniform des Braunschweigischen Husaren-Regiments blieb in den wesentlichen Bestand-
theilen auch als Englisches Regiment unverändert. Es war eine schwarze, reich mit schwar-
zen Schnüren bedeckte Husarenjacke und ein gleichfarbiger, mit schwarzem Pelz verbrämter
Dollmann; das Beinkleid wurde von hellem Graublau mit breiten goldenen Streifen besetzt.
Die Schärpe, damals in England ein so wesentliches Uniformstück, daß der Offizier ohne
dieselbe auf seine Autorität keinen Anspruch machen durfte, war von prachtvollem Carmoi-
sinroth mit goldenen Zwischenstücken und wurde mehrmals um den Leib geschlungen. Auf
Patronen- und Säbeltasche kam der Königliche Namenszug R – Georg Rex -, das Charakteri-
stische blieb der Tschako von schwarzem Fils mit einem großen silbernen Todtenkopfe an
der Vorderseite und breiten silbernen Schuppenbändern; vorn erhob sich ein schwarzer Roß-
schweif, welcher bis auf die Augen wieder herunterfiel. Der Tschako war noch reichlich mit
Schnüren und Quasten umgeben, so daß sein Gewicht kein geringes war. Diese Uniform war
zwar überaus kleidsam, aber für das heiße Spanische Klima keineswegs geeignet. Die glühen-
de Sonne brannte zum Verzweifeln auf das schwarze Tuch und der schwere Tschako konnte
kaum auf dem Kopfe erhalten werden. Die militärischen Einrichtungen waren damals bei der
Englischen Armee noch viel schlechter und schwerfälliger als sie sich in dem weit späteren
Krimkriege zum großen Nachtheile der tapferen Soldaten erwiesen. Um die ganz unbrauchba-
ren Pelze ablegen zu dürfen, mußte wohl nach London berichtet werden, und die Erlaubnis
ging ein, als der Feldzug beinahe zu Ende war, und die Pelze sich durch den Einfluß von Son-
ne und Nässe bereits selbst abgelegt hatten. Ebenso wurden später in Italien die Paraden
pünktlich in der glühenden Mittagshitze abgehalten, als ob man sich in Old-England befände;
während um diese Zeit in Italien Niemand ohne die zwingendste Nothwendigkeit sein kühles
Haus verläßt; bald hieß es auch auf ganz Sicilien:“Um Mittag sieht man Niemanden auf den
Straßen als Engländer und Hunde!“
In Cork auf Irland ist das erhaltene Miniatur Portrait von Karl Friedrich Wilhelm auf Elfen-
bein gemalt, welches von allen Gliedern der Familie als ungemein ähnlich gepriesen wird.
Endlich im Jahre 1811 war die Ausrüstung vollendet, es versammelten sich in und um Cork
eine große Truppenmasse, um in einem starken Convoi – es waren wohl 80 Transportschiffe,
beschützt von einer entsprechenden Anzahl von Linien- und kleinen Kriegsschiffen – nach
Spanien eingeschifft zu werden.
Über diesen nach allen Richtungen hin äußerst beschwerlichen und gefährlichen Feldzug kön-
nen leider nur einige wenige Bruchstücke mitgetheilt werden, wie sie aus den späteren selte-
nen Erzählungen des Rittmeisters im Gedächtnisse geblieben sind. Sein sehr sorgfältig ge-
führtes Tagebuch ist eine Beute der Franzosen geworden, von seinen Briefen sind zwar einige
wenige in der Heimath angekommen, auch sorgfältig aufbewahrt, später aber mit tausend
anderen Sachen in Butzens Hause zu Sandau so verkramt, daß sie sich bisher allen Nachfor-
schungen entzogen haben. (Anm. Diese Briefe sind nachträglich bei der Ausräumung des
Hauses aufgefunden und wurden bei den Familienurkunden aufbewahrt. Sie enthalten wenig
Geschichtliches.)
Schon die Ausfahrt aus dem Hafen in Cork war eine sehr unglückliche und wenig geeignet,
das glorreiche Ende des Feldzuges zu prophezeien. Es hatte sich ein gewaltiger, mehrere Tage
anhaltender Sturm erhoben, welcher fast das ganze Convoi zerstreute. Es mußte wohl in der
Bulldoggennatur der Engländer liegen, daß unter solchen Umständen der festgesetzte Tag
nicht etwas verschoben wurde. Schon die Einschiffung im Hafen selbst war bei dem aufge-
regten Wasser mit Mühe und Gefahr verknüpft, namentlich machte die Verpackung der Pfer-
de, deren Heranschaffung an das Schiff und das Herabwinden in den unteren Raum viel Noth.
Das Signal zum Lichten der Anker war gegeben, aber nur wenigen der schwerfälligen Trans-
portschiffe gelang es, den ruhig ihren Cours steuernden Kriegsschiffen zu folgen; die meisten
kamen kaum aus dem Hafen und wurden dann nach allen Winden verstreut, einige hatte der
Sturm bis in die Nähe der Küste Amerikas verschlagen, von mehreren hat man nie wieder Et-
was vernommen. Ein Schiff ging mit Mann und Maus dicht vor dem Hafen zu Grunde, sie
konnten die entsetzten Gebärden der Mannschaft sehen, aber Hülfe war bei dem wild beweg-
ten Meere unmöglich. Das Schiff wurde vor ihren Augen von den wüthenden Wogen zer-
drückt, sie hörten noch einen grässlichen Angstschrei durch alles Getöse und von dem Schif-
fe waren kaum noch einige unförmliche Trümmer zu sehen. Eine Anzahl Schiffe rettete sich
in diesen und jenen Nothhafen; dem, worauf sich der Rittmeister befand, gelang es, nachdem
es drei Tage vergeblich gegen Wind und Wogen gekämpft hatte, mit genauer Noth den Hafen
von Cork wieder zu gewinnen.
Nachdem sich der Sturm einigermaßen gelegt, sammelte sich der Rest des Convois wieder zu-
sammen und die Ausfahrt ging nun glücklich von statten. Sie hatten zwar in dem gefährlichen
Meerbusen von Biscaya noch Vieles zu leiden, aber sie erreichten doch ohne erheblichen Un-
fall das herrlich gelegene Lissabon, wo sich das Convoi so ziemlich wieder zusammenfand.
Die Seereisen gingen damals nicht so schnell von statten, wie heute. Dampfschiffe kannte
man noch nicht, und die Transportschiffe mögen auch Passagierbooten in der Bequemlichkeit
nicht wenig nachgestanden haben.
Von Lissabon ging es nach Gibraltar, wo die Mannschaften Zeit bekamen, sich ein wenig zu
erfrischen und sich in der Felsenfeste etwas umzuschauen. Nach wenigen Tagen segelte man
weiter nach dem Ausschiffungspunkte, dem Hafen von Cadix in Spanien. Kurz vorher geschah
ein Unglück, welches leicht dem Schiffe und unserem Rittmeister das Leben hätte kosten
können. Etwa eine Tagereise vor Cadix liegen mehrere nackte Felsen, von Klippen und Un-
tiefen umgeben, im Meere. Das Wetter war gut und der Wind günstig. Gegen Abend gab der
Commodore, der mit seinem Schiffe stets voransegelte, das Signal, sich zusammen zu halten
und ihm zu nähern; es galt, um einen lang gestreckten Felsen herumzusteuern und das Fahr-
wasser war nicht ohne Gefahr.. Der Capitän des Schiffes, auf welchem sich der Rittmeister
befand, war etwas außer Cours gekommen, er gehorchte dem Signal und suchte dem Com-
modore in möglichst gerader Richtung nahe zu kommen. Plötzlich geschah ein furchtbarer
Krach und ein Stoß, daß Alles zusammenzustürzen drohte: Das Schiff war auf einen Felsen
unter dem Wasser gelaufen und hatte ein Leck bekommen. Nach dem ersten Schrecken wur-
de sofort zu den Pumpen gegriffen, aber es wurde bald die entsetzliche Wahrheit klar, daß
man des eingedrungenen Wassers nicht Herr werden konnte; es verminderte sich nicht, man
sah sein Wachsen von Minute zu Minute. Inzwischen war die Flotte um den Felsen herumge-
kommen, man sah Nichts mehr und die Nothschüsse verhallten ungehört. Es entstand nun die
gräßliche Scene, die einem Schiffbruche voran zu gehen pflegt: der Eine betete, der Andere
fluchte und Alle gaben ihr Leben verloren. Die Banden der Schiffszucht hörten auf, die Ma-
trosen bemächtigten sich der Rumfässer und hatten sich bald samt den Soldaten einem mög-
lichst bewußtlosen, aber auch arbeitsunfähigen Zustand hingegeben. Die wenigen Offiziere
mußten sich selbst an die Pumpen begeben, sie arbeiteten bis zur Erschöpfung, aber das Was-
ser stieg mehr und mehr und immer näher rückte der schreckliche Moment heran, wo Schiff
und Mannschaft rettungslos verloren sein mussten. Zum Glück war während dem die Nacht
hereingebrochen, ich sage, zum Glück, denn nun mußte jedes Schiff Lichter aufstecken und
dem Commodor-Schiff wurde es möglich, die Häupter seiner Lieben zu zählen. Es wurde
auch bald das eine vermißt und Boote mit Offizieren nach allen Richtungen ausgesandt.
Endlich nach Verlauf mehrerer Stunden der peinlichsten Todesangst erschien auch unseren
Schiffbrüchigen das Rettungsboot, aber der Rettungsengel in Gestalt eines Britischen See-
Leutnants, kaum an Bord gekommen, schien zunächst von der Noth und Todesgefahr keine
Notiz nehmen zu wollen. Sein erstes Wort war die Frage an den Capitän des Transportschiffes
„Auf welcher Stelle befinden Sie sich?“ Da die Antwort nach Längen- und Breitengraden eine
falsche Stelle angab, so wurde der Capitän sofort als Gefangener abgeführt und nun erst begann
das Rettungswerk. Die mitgebrachten Schiffszimmerleute untersuchten das Leck, zweckmäßige
Maaßregeln wurden ergriffen, und es stellte sich heraus, daß das Schiff noch so lange über Was-
ser erhalten werden konnte, um den nicht mehr fernen Hafen in Cadix zu erreichen. Den Land-
offizieren und den Soldaten wurde es frei gestellt, ob sie auf dem lecken Schiffe bleiben oder
nach einem andern übersiedeln wollten. Fast alle und auch der Rittmeister zogen das Letztere
vor und sie betraten wohlbehalten den Spanischen Boden; auch das beschäigte Schiff erreichte
etwas später den Hafen, mußte aber einer gründlichen Reparatur unterzogen werden.
Nun begann der eigentliche Feldzug. Die Strapazen eines solchen sind bekannt genug, sie waren
für die deutschen Husaren in dem heißen Spanien doppelt. Immer im Vortrabe bestand ihr Le-
ben in einer fast ununterbrochenen Kette von Gefechten, bald waren sie in siegreichem Vorrük-
ken, bald mußten sie sich zurückziehen, wenn sie auf feindliche Übermacht gestoßen waren,
oder es sich nur um eine Recognoscierung oder die Ausführung irgend eines Coups gehandelt
hatte. Die Verpflegung durch die Armeelieferanten war zwar an Fleisch und festen Speisen gut
und reichlich, aber oft genug wurde der Vortrab an einen ganz anderen Ort verschlagen, als er
erwartet war und sie fanden weder ihre Proviant-Colonne, noch ihr Gepäck vor. Bei den armen
Leuten war nichts zu suchen, sie lebten inmitten der herrlichen und fruchtbarsten Natur höchst
armselig, ihre Faulheit und Lässigkeit überstieg alles Maaß, Bedürfnisse hatten sie nicht, und
selbst der Spanische Soldat lebte von ein paar Feigen und einigen Zwiebeln tagelang vergnügt
und guter Dinge. Darauf waren die Deutschen Mägen nicht zugerichtet, und es galt oft genug,
den Hungerriemen enger zu schnallen. Eine köstliche Labe waren die herrlichen Weintrauben,
die überall vom Pferde herunter den hohen Reben entnommen werden konnten, aber sie hatten
auch, besonders mit nüchternem Magen genossen, Diarrhöen zur Folge, alle Augenblicke mußte
ein Husar vom Pferd herunter, und nicht selten war das Regiment in wenig kriegerischen Stel-
lungen beinahe eine halbe Meile lang; hätte der Feind darum gewusst, er hätte sie mit Leichtig-
keit aufreiben können. An Ermahnungen und Verboten fehlte es nicht, aber wer vermochte es
zu verhindern, wenn der halb verschmachtete Mann nach einem Labsale griff, welches ihm
dicht vor dem Munde hing. Nicht minder schmeckte der feurige, gekelterte Spanische Wein,
und niemand machte sich ein Gewissen daraus, auch in Freundesland einen unbewachten Wein-
keller zu leeren. Die Besitzer hatten ein eigenthümliches Schutzmittel ersonnen, was man viel-
fach angewendet fand, sie hatten nämlich um alle Zugänge Sägespähne gestreut und mit Urin
befeuchtet, dadurch hatten sich Millionen und Milliarden von Flöhen erzeugt, welche den Ort
vollständig unnahbar zu machen schienen. Aber es half Alles Nichts, von den durstigen Solda-
ten entkleideten sich ein Paar vollständig und gaben ihren Körper den kleinen Ungeheuern
preis, worauf in wenigen Augenblicken der Keller erobert war. Das Klima war ebenso unge-
wohnt als verderblich. Am Tage drohte die Sonne alles zu versengen und Roß und Reiter
schleppten sich mühselig dahin oder mußten gar auf Leben und Tod kämpfen; die Nächte waren
dagegen empfindlich kalt, und den mangelnden Regen ersetzte ein reichlicher Thau, so daß die
Soldaten bei ihren häufigen Biwouacks unter freiem Himmel am Morgen bis auf die Knochen
durchnäßt waren. War das Gepäck nicht zur Hand, so hatten auch die Offiziere nur ihren Mantel
zur Decke, und das geschah auch auf längere Zeit, da das ganze Gepäck einige Male dem Feind
in die Hände gefallen war, und der Ersatz nicht so schnell beschafft werden konnte. Bei einer
solchen Gelegenheit ist auch das Tagebuch des Rittmeisters verloren gegangen, und es sind uns
von alle den kleinen und großen Aktionen auch nicht einmal die Namen erhalten. Am besten
wurden diejenigen, die Geld zum Kaufen hatten, mit Cigarren versorgt; es lagen immer Han-
delsschiffe aus der Havanna mit echten Cigarren, die damals zumahl bei der Continentalsperre
ungleich billiger waren, an der Küste, und man füllte sich alle leeren Räume, selbst die Patro-
nen- und Säbeltaschen mit diesem beliebten Artikel. Die Engländer rauchten weniger, aber die
Deutschen und namentlich die Schweitzer von der Fremdenlegion, die samt einigen Spanischen
Regimentern mit zum Bentinckschen Corps gehörte, hatten sich den Spottnamen „Schmork-
kowes“ erworben. In England selbst war man gegen den Tabacksgeruch so empfindlich, daß
die Offiziere sich ein besonderes Zimmer zum Rauchen halten, und sich vollständig umkleiden
und reinigen mußten, wenn sie nach dem Genusse einer Pfeiffe oder Cigarre noch eine Gesell-
schaft besuchen wollten. In einem Englischen Hause wurde selbstverständlich an Rauchen
nicht gedacht, desto opulenter waren die Diners und Weine, meist schwer, in Hülle und Fülle.
Unter dem Tischtuche war der Tisch grün überzogen, und sobald gegen Ende des Diners an der
Stelle des Hausherren oder der Hausfrau ein Stückchen von der grünen Farbe sichtbar wurde,
so war dies für die anwesenden Damen ein Zeichen, sich in die Theezimmer zurückzuziehen.
Die meisten Herren blieben, die Bedienten schafften reichlich Flaschen von den bestellten Sor-
ten herbei und entfernten sich dann; es wurde ein Präsident gewählt und nun begann ein förm-
liches Trinkgelage, wobei die Flasche von Einem zum Anderen wanderte und jeder sich nach
Belieben bediente. So war es selbst in den vornehmsten Häusern Sitte, der Engländer wird aber
auch nicht so leicht betrunken und in den gebildeten Ständen weiß man auch dann die Grenzen
des Anstandes zu halten; jetzt mag sich die Sitte auch dort geändert haben, namentlich soll die
Cigarre ziemlich allgemein eingebürgert sein. In Spanien gab es freilich dergleichen Diners
nicht mehr wie in England und Irland; wo besonders die schwarzen Husaren sehr gefeiert wur-
den. Außer diesem Mangel standen sie auch mit der Bevölkerung auf einem bedenklichen
Fuße, Sitte und Sprache war ihnen vollständig fremd und kümmerte sie auch nicht viel. Die
Spanier wußten nicht recht, was sie aus den Engländern machen sollten; sie sahen wohl, daß
sie mit ihnen gegen die Franzosen kämpften, aber das Mißtrauen blieb. Der Spanier ist zwar
stolz, aber rachsüchtig und im höchsten Grade grausam, Qual an Menschen und Tieren rühren
ihn keinen Augenblick. Auf einem Marsche sahen die Schwarzen einmal viele runde Gegen-
Stände aus der Erde herausragen und bei näherer Untersuchung fand sich, daß die Spanier eine
Menge gefangener Franzosen in Reih und Glied lebendig in die Erde gegraben und zur Verlän-
gerung der Todesqual mit den Köpfen freigelassen hatten. Sie waren sämtlich todt; ob diese
Bestialität von Soldaten oder der aufgereizten Bevölkerung verübt war, ließ sich nicht ermitteln.
Dergleichen Greuelthaten hatte zwar die Englische Armee nicht zu fürchten, aber man mußte
doch etwas auf seiner Huth sein, namentlich die vorgeschobenen Detachemants; man hatte
besonders Sorge vor Vergiftungen, die den fanatisierten Spaniern wohl zugetraut werden durf-
ten.
Alles im Allen war der Spanische Feldzug ganz besonders beschwerlich, und Mancher, der mit
heiler Haut davongekommen, hat die Keime zu späterem Siechthum gelegt.
Die Stellung der Französischen Armee brachte es mit sich, daß sich der Krieg in den südlichsten
und schönsten Provinzen Spaniens hinzog: in Granada, Sevilla, Murcia und Andalusien; die
Englische Armee suchte sich möglichst an der Küste zu halten, um nicht außer Verbindung mit
der Flotte zu kommen. Besonders in der Provinz Murcia hat es dem Rittmeister gefallen, und
schilderte sie wiederholt als einen einzigen prächtigen Garten, den selbst die Trägheit der Be-
wohner nicht herunter zu bringen vermocht hatte. In der Stadt gleichen Namens hat er sich das
Federmesser mit zwei herausschiebbaren Klingen gekauft, welches ihn mit in die Heimath zu-
rück begleitet hat und in seinem steten Gebrauche geblieben ist.
Es war eine seltene Fügung, daß, während der Rittmeister Butze im Spanischen Feldzuge bei
der Englischen Armee als Adjutant diente, der Zwillingsbruder seiner zukünftigen Ehefrau, der
Obristleutnant August von Henniges als Major in der feindlichen französischen Armee stand.
Napoleon hatte überall in Deutschland starke Aushebungen an Soldaten bewirkt, welche er
theilweise mit nach Spanien geschleppt hatte. Die Offiziere gingen freilich mehr oder weniger
freiwillig; es steckte immer in den Deutschen, besonders in den kleinen Reichen, noch die alte
Landsknecht-Natur, der es bei einem Kriege nur auf ungebundenes Leben und gutes Avance-
ment ankam, ohne sich um die politischen Zwecke und Ziele sonderlich zu kümmern. Aus ähn-
lichen Beweggründen mochte auch August von Henniges mit den Westphälisch-Französischen
Hülfstruppen nach Spanien gegangen sein; er hatte in der Österreichischen Armee seine militä-
rische Carriere begonnen, der Krieg war sein Gewerbe, warum sollte er bei den damaligen
Auffassungen nicht dahin gehen, wo es gerade Krieg gab? Die beiden Verwandten wußten da-
mals natürlich Nichts von einander, sie haben sich auch niemals unmittelbar gegenüber gestan-
den, und die frühere Feindschaft hat ihrer späteren Freundschaft keinen Abbruch gethan. Von
den unzweifelhaft zahlreichen Erlebnissen und Abentheuern des Rittmeisters sind aus seinen
sparsamen Erzählungen nur einige wenige im Gedächtnisse geblieben.
Einmal wurden die Husaren von Französischer reitender Artillerie verfolgt, sie mußten auf
einer langen, schnurgeraden Chaussee fliehen und das Terrain gestattete es nicht, nach rechts
oder links abzubiegen. Die Franzosen waren ihnen dicht auf den Fersen und schickten ihnen
oft genug volle Ladungen nach, daß die Kugeln um sie herumpfiffen; sie glaubten, aus dem
Defilee nur decimirt herauszukommen, und jeder suchte sich zu retten, so gut es gehen wollte.
Endlich hatten sie geschützte Stellungen erreicht, und siehe da, bei der ganzen Kanonade, die
etwa auf einer Meile fortgesetzt war, hatten die Franzosen nur ein einziges Pferd getroffen;
die Kugeln waren immer über die Fliehenden hinweggegangen.
Die Englische Vorhut war mit den Franzosen, die wieder Kanonen mit sich führten, im Gefech-
te. In der Nähe des Kampfplatzes lag ein Chausseehaus, welches rechts und links von der
Hausthüre ein Fenster hatte, das eine war durch einen Laden verschlossen, an dem offenen
verrichtete der Einwohner seine Geschäfte. Der Rittmeister ritt mit dem Regimentsarzte an das
offene Fenster heran, um sich ein Glas Wein zu verschaffen. Kaum hatten sie ihr Begehren
kund gethan, als eine feindliche Kartätschenladung gegen das verschlossene Fenster schlug,
daß der Laden donnerte und krachte. Die Pferde waren mit einem Satze davon und ebenso
wie die Reiter unversehrt, der Doctor suchte ohne Umsehen das Weite und auch der Rittmei-
ster zog es vor, sein verhofftes Glas Wein an dieser gefährlichen Stelle im Stiche zu lassen.
Ein Ungar bei der Fremdenlegion führte bei einem anderen Gefecht einen Hieb, welcher der
Kraft des Mittelalters würdig war. Sie hatten Französische Cürassiere geworfen und verfolgten
sie Pferd an Pferd. Der Ungar hatte einen Cürassier vor sich und schlug mit dem Säbel einen
so gewaltigen Hieb, daß das Rückenstück des kugelfesten Cürassiers in zwei Stücke zersprang.
Der Mann blieb aber unverletzt.
Einst, es war aber schon nach Beendigung des Krieges, befanden sich ein paar Transportschif-
fe - auf dem einen der Rittmeister – ohne Begleitung eines Kriegsschiffes im Mittelländischen
Meere. Es war Windstille, und eines Morgens sahen sie sich von drei langen, niedrigen Seeräu-
ber-Galeeren umgeben, welche so nahe kamen, daß sie mit dem Glase die Kanonenluken und
die braunen Gesichter der zahlreichen Bemannung deutlich wahrnehmen konnten. Die un-
heimlichen Nachbarn blieben drei Tage in Sicht, sie wagten nicht, die ebenfalls stark bemann-
ten Transportschiffe zusammen anzugreifen und mochten wohl auf einen günstigen Moment
rechnen, um eines vereinzelt zu überfallen. Aber man war auf seiner Huth, und eines Morgens
waren die Corsaren ebenso spurlos verschwunden, als sie gekommen waren. Ein anderes Mal
hatte sich ein Seeräuber während der Nacht in die von Kriegsschiffen eskortirte Flotte zu
schleichen gewußt, obwohl sie von Kuttern und anderen kleinen Schiffen zur Sicherheit fort-
während umkreist wurde. Der wilde Geselle wurde zwar noch rechtzeitig bemerkt, aber er fand
das Weite, ohne daß man seine Nationalität hätte feststellen können, man hatte ihn für einen
Amerikaner gehalten. Es gehörte wirklich zu solchen Unternehmungen eine unglaubliche
Schlauheit und Kühnheit. Denn im ganzen Mittelländischen Meere kreuzten in bestimmten
Reichen Englische Kriegsschiffe, welche sich außerdem zu bestimmten Zeiten an einer be-
stimmten Stelle treffen mußten, um auf diese Weise zugleich Depeschen befördern zu können.
Nichtsdestoweniger schlichen sich Corsaren, meist vor der Afrikanischen Küste aus den damals
noch blühenden Seeräuberstaaten Algier, Tunis, Tripolis, Fez und Marokko durch, und man-
ches friedliche Kauffahrtheischiff wurde ihre Beute.
Der letzte Akt des Krieges war die große Belagerung von Barcelona, der letzte Zufluchtsort
der Franzosen auf der Halbinsel. Die schwarzen Husaren waren wieder dabei, und es fiel ihnen
nicht die leichteste Rolle zu. Ohne bestimmtes Quartier mußten sie bald hier, bald dort sein.
Der Rittmeister hat hintereinander sechs Wochen lang die naßkalten Spanischen Nächte ohne
allen Schutz, als seinen delolaten Mantel, oft genug mit leerem Magen, im Freien auf der
nackten Erde zubringen müssen, und es ist kaum zweifelhaft, daß er hier den Grund zu seiner
schweren Krankheit gelegt hat, von welcher der starke und kräftige Mann während der letzten
40 Jahre seines langen Lebens heimgesucht werden sollte. Waren sie der Last und der Hitze
des Tages fast erlegen, am Abende froh, sich lebend und mit heilen Gliedern wiederzufinden,
so mußten sie sich zur Ruhe hinwerfen, wo und wie sie standen, und der Rittmeister hatte noch
die unglückliche Naturanlage, selbst zum Tode ermattet, schwer und spät einschlafen zu
können, so daß er oft kaum entschlummert wieder auf mußte. Des Morgens waren si so durch-
näßt, daß ihnen die Zähne im Munde klapperten, und sie priesen sich glücklich, wenn sie nur
irgend etwas Erwärmendes zur Hand hatten, der Englische Rum spielte dabei natürlich eine
große Rolle. Viele sind zu Grunde gegangen, viele haben es überstanden, aber bei den Meisten
stellten sich später die traurigen Folgen ein.
Barcelona wurde nach hartnäckiger Belagerung genommen und die Franzosen über die Pyre-
näen zurückgejagt, das erste Mal, daß die ewig siegreichen Napoleonischen Armeen ihre
gloire zurücklassen mußten.
Es ist bekannt, daß die Franzosen besonders geschickt waren, auf der Flucht die verfolgende
Cavallerie durch schnelle Formirung von Quarrees abzuhalten und sich wieder Luft zu schaf-
fen. In Spanien haben sie diese Maneuvres sehr häufig und meist mit Glück ausgeführt.
Der Rittmeister konnte aus eigener Erfahrung davon erzählen und er versicherte wiederholt,
daß ein Quarree bei gehöriger Ruhe der Leute und nicht zu frühem Schießen erst dann zu
sprengen sei, wenn die Pferde durch den Lärm und das Getöse der Schlacht vollständig die
Besinnung verloren hätten und blindlings drauf lostürzten. Seien sie noch nicht so weit, so
machten sie bei der ersten, zur rechten Zeit gegebenen Salve kehrt, und aller Muth der Reiter
vermöge die schleunige Flucht nicht zu hindern. Sind aber erst einige Reiter in das Quarree
hineingekommen, so wird alles niedergeritten oder niedergehauen, was sich nicht gefangen
gibt.
Nach glücklicher Vertreibung der Franzosen, wurde Ferdinand VII. wieder auf seinen Thron
zu Madrid gesetzt und er fing sofort seine Mißregierung wieder da an, wo er hatte aufhören
müssen. Seine Befreier hatten noch Gelegenheit, den bösen Eindruck seiner von politischem
und religiösem Fanatismus Maaßregeln diktierten wahrzunehmen, und die Deutschen Offizie-
re sagten sich ziemlich mißmuthig, daß sie für einen unfähigen Tyrannen Leben und Gesund-
heit auf das Spiel gesetzt hatten, indessen werden dergleichen Reflexionen in dem bewegten
Leben bald untergegangen sein. Spanien sollte auch noch lange nicht zur Ruhe kommen, denn
bald gerieth es in die Revolutionen gegen seine Regierungen hinein, die freilich sämtlich
nichts taugten, und erst seit neuerer Zeit scheint es auf dem Wege der Beruhigung zu sein.
Den Spaniern waren die Deutschen und wahrscheinlich auch die Engländer ziemlich fremd ge-
blieben; der wechselnde Aufenthalt gestattete auch kein tieferes Eindringen in Sitten und Ge-
bräuche, selbst wenn die Schwierigkeit des Verständnisses überwunden war. Im Allgemeinen
war das Urtheil des Rittmeisters über die Bevölkerung kein günstiges, wenn schon in vielen
Gegenden Männer und Mädchen feurig und körperlich wohlgebildet erschienen. An ihren Na-
tionaltänzen haben sich die Fremden öfter erfreuen können, sie sind ungemein lebhaft und
wollüstig. Die Cigarren waren nicht verpönt wie in England. Die Sitte brachte es mit sich, daß
die Frau oder Tochter des Hauses dem Gaste die Cigarette eigenmündig vorrauchte. Das
mochte auch nicht alle Mal angenehm sein; noch unangenehmer war es, daß häufig die plau-
dernden Herren nur eine Cigarre in Brand hatten, welche Reihe herumging.
Der Rittmeister hat es oft genug bedauert, daß ihm der Kriegsgang nicht vergönnt hat, die be-
rühmte Alhambra mit eigenen Augen zu sehen, obwohl er gar nicht fern davon gewesen ist,
aber ein Feldzug geht anders wie eine Vergnügungsreise. Die schwarzen Husaren wurden von
Spanien über Genua nach Sicilien eingeschifft. Murat saß noch in Neapel und drohte Sicilien
zu überfallen; es ist aber zu keinem Feldzuge mehr gekommen.
Man darf wohl annehmen, daß die Deutschen Spanien trotz seiner herrlichen Gegenden nicht
ungern mit Italien vertauschten, das ja von jeher den größten Reiz auf die Nordländer ausübte.
Am liebsten wären sie wohl der Heimath zugeeilt, allein sie standen in fremden Diensten und
für die meisten war ohne sie keines Bleibens in Deutschland, wo Napoleon samt seinen Schat-
tenkönigen noch immer herrschte. Es mußte also wieder weiter in die Fremde gehen, und
damit ist ja der junge Soldat meist einverstanden.
Dieses Capitel ist in Butzens Hause zu Sandau gegen Ende Juli 1866 geschrieben.
Der Rittmeister Karl
Friedrich Wilhelm in Italien
und seine
Aufzeichnungen aus Messina von 1814
Nach glücklicher Beendigung des Feldzuges in Spanien wurden die Braunschweigischen
Husaren zu der Englischen Armee kommandirt, mit welcher ein Theil von Italien und na-
mentlich Sicilien besetzt gehalten wurde. Der Marsch erfolgte wieder größtentheils zu
Wasser, und zwar zunächst nach Genua, wo sie wieder nach ihrem einstweiligen Bestim-
mungsorte, der Insel Sicilien eingeschifft wurden.
Wahrscheinlich war es auf dieser Reise, als noch nicht eben entfernt vom Ausgangspunkte
eines Morgens der Admiral alle Schiffscapitaine der ihn begleitenden Flotille zu sich entbot,
um ihnen die Mittheilung zu machen, daß in der eben verwichenen Nacht ein Kriegsschiff
die Flotille gekreuzt habe, welches den Kaiser Napoleon in die Verbannung nach der Insel
Elba führte. Diese Nachricht verbreitete natürlich allgemeinen Jubel, aber der Glaube an den
glücklichen Stern des gewaltigen Kaisers war so festgewurzelt, daß man sich nicht getraute,
dieser unerwarteten Botschaft vollkommenen Glauben beizumessen. Die großen Siege der
verbündeten Armeen waren natürlich auch bereits in diesen fernen Gegenden bekannt gewor-
den, aber über den völligen Sturz des Imperators war noch keine sichere Kunde da. Die zag-
hafte Ungläubigkeit war daher umso weniger zu verwundern, als bisher schon manche Täu-
schung erfolgt sein mochte. Die Fremdlinge hatten sich bereits mit dem Gedanken vertraut
gemacht, ihre Heimath niemals wieder zu sehen, und sie konnten auch nicht in der Lage sein,
alle Folgen von Napoleons Verbannung gleich im ersten Augenblick zu übersehen. Vorerst
waren sie ja auch durch ihre dienstlichen Verhältnisse gebunden, und sie mußten den Engli-
schen Fahnen auch weiter folgen, freilich konnten sie der Zukunft mit ruhigerem Blicke ent-
gegensehen, als bei ihrer ersten Einschiffung von Bremerhafen nach England. Der Krieg mit
seinem steten Wechsel zwischen Glück und Unglück hatte auch nicht verfehlen können, das
Menschenherz gegen die Gunst oder Ungunst des Geschickes abzustumpfen und gleichgültig
zu machen.
In Italien war kein eigentlicher Krieg mehr, und das Leben der Soldaten bewegte sich daher
mehr im Garnisondienste, fern von dem Getümmel der Schlachten und Gefechte, welches
dem Soldaten von Perfektion so leicht zum aufregenden Bedürfnisse wird, aber doch auch
frei von übergroßen Anstrengungen und Strapazen.
Das erste Standquartier auf Sicilien war die Hauptstadt Palermo, von wo sie nach längerer
Zeit nach Messina verlegt wurden. Hier hat Karl Friedrich Wilhelm wieder eine Art Tage-
buch geführt, welches sich glücklicher Weise in seiner schönen und klaren Handschrift erhal-
ten hat. Es enthält 2 kleine Hefte, ist in Form von Briefen abgefaßt und in Englischer Spra-
che geschrieben. Die wesentlichsten Ereignisse und Beobachtungen werden in anziehender,
geläufiger und äußerst verständlicher Weise geschildert, sodaß der Verfasser dieser Chronik
nichts Besseres thun kann, als die Briefe in wörtlicher Übersetzung mitzutheilen, welche
also lautet:
Messina 3. August 1814
Theurer Freund
Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß mein letzter Brief von Genua (als wir eben im
Begriffe waren, uns nach Sicilien einzuschiffen) Ihnen durch meinen Freund N.N. über-
bracht ist, der selbst der Überbringer zu sein versprach; aus welchem Grunde ich ebenso, wie
wegen der Kürze der Zeit Ihnen nur wenige Zeilen schrieb.
Die Reise von Genua nach Palermo machten wir in äußerst kurzer Zeit und ohne auf irgend
welche Zufälle zu stoßen, so daß ich diese Reise wohl eine angenehme nennen kann.
Wir schifften uns am 24. Mai aus und nach einem Aufenthalt von nur ungefähr einem Monat
in der Hauptstadt der Insel marschirten wir zu Land hierher, wo wir am 30. Juni ankamen.
Ich bin außerordentlich mit diesem Quartierwechsel zufrieden, da ich Messina in jeder Hin-
sicht vor Palermo den Vorzug gebe, aber ehe ich Ihnen eine Beschreibung des einen oder an-
deren gebe, muß ich gestehen, daß mir die ganze Insel mißfällt, obschon sie gerade von den
berühmten alten Schriftstellern das Paradies der Welt genannt ist. Es ist nicht zu leugnen,
daß die Natür sich fast selbst erschöpft hat, um diesen kleinen Fleck der Welt mit größter
Fruchtbarkeit des Bodens und Reichthums seiner Erzeugnisse auszustatten, aber seine Tem-
peratur ist so sehr von der eines Paradieses verschieden, wie schwarz von weiß. Im Sommer
ist die Sonne so mächtig, daß ihre Strahlen von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends fast uner-
träglich sind. Von der respektablen Klasse der Bevölkerung sehen Sie daher zur Tageszeit
nur wenige in den Straßen, nur am Abend oder besser zur Nachtzeit, möchte ich sagen, krie-
chen sie aus ihren Häusern hervor, um sich an der frischen Luft zu erfreuen. Über den Win-
ter kann ich nicht urtheilen, da ich während dieser Jahreszeit nicht hier gewesen bin, - aber
da es, wie ich höre, fast beständig 3 Monate hindurch regnet, kann ich nicht einsehen, wie er
dem Sommer vorzuziehen sei.
Palermo ist ein weitläufiger Ort von ungefähr 100.000 Einwohnern, aber man kann es keines-
wegs eine schöne Stadt nennen, obschon es zwei lange hübsche Straßen hat, durch welche sie
in vier Theile getheilt ist, und manche schöne Häuser – die größten von ihnen sind Klöster,
welche durch ihre Gitterfenster dem Ganzen ein ziemlich finsteres Ansehen geben.
Die „Marine“ und der „botanische Garten“ sind die einzig erwähnenswerthen Gegenstände –
beide sind öffentliche Spaziergänge, und hier finden Sie am Morgen (Anm. soll wohl „am
Abend“ heißen) die Bevölkerung der ganzen Stadt zu Wagen, zu Pferde oder zu Fuße luft-
schöpfend. Bei dem Worte „Marine“ werden Sie, wenn Sie nicht unterrichtet sind, denken,
daß es nahe der Seeküste sein müßte. Es ist vielmehr eine schöne breite Straße, ungefähr eine
Englische Meile lang, welche auf den Strand zu läuft, wo er gänzlich offen ist. Sie würden
sehr überrascht sein, wenn Sie hier, besonders am Sonntag, welcher der Tag ist, um sich zu
zeigen, vielleicht zwischen 400 – 500 meist elegante Fuhrwerke auf einmal sehen würden.
Die Sicilianer sind sehr verschwenderisch in dieser Hinsicht, - mancher ihrer Edelleute hält
sich wohl über ein Dutzend Kutschen, von denen immer die eine die andere an Pracht über-
trifft, aber nur ein Paar Pferde. Auf dieser sogenannten „Marine“ wogen sie auf und ab, fast
bis Mitternacht und schmieden ihre Intrigen, zu welchem Zwecke es öffentlich verboten ist,
mit Fackeln zu erscheinen, ohne welche sie in andern Theilen der Stadt niemals gesehen wer-
den. Für die Spaziergänger ist auf der Seeseite ein Steig gepflastert ungefähr 2 Fuß höher als
die Straße, eine Einrichtung, die sie davor sichert, mit den Wagen nicht in Collision zu kom-
men. Auf der andern Seite stehen einige Statuen früherer Könige von Spanien und Sicilien,
auch einige Fontainen sind dort, aber nicht von Schönheit oder Bedeutung.
Der botanische Garten grenzt an die „Marine“, ist jedoch nur für Fußgänger bestimmt. Er ist
in zwei Theile getheilt, einer zur allgemeinen Benutzung, der andere für das Studium der Bo-
tanik , für welchen Zweig der Wissenschaft eine regelrechte Academie hier ist. Jener Theil,
von dem ich spreche, ist natürlich der für den allgemeinen Gebrauch – zwar habe ich einen
Blick auf all diese Pflanzen, Blumen, Gräser und Bäume in dem anderen gethan, aber Alles,
was ich dadurch erreichen konnte, war dies, daß es davon eine unendliche Mannigfaltigkeit
dort gibt – und diese finden Sie auffallender und unterhaltender unter der Menge der Spa-
ziergänger, und ich verbürge Ihnen, Sie werden hier eine Sammlung von lebendigen Blumen
sehen, welche Ihnen durch ihre Schönheit und ihre Liebenswürdigkeit weit mehr gefallen
werden, als alle andern Blumen von Ost und West, in Töpfen oder Treibhäusern aufgezogen.
Habe ich mich nun einer großen Abschweifung schuldig gemacht, indem ich Ihnen von ir-
gend welcher Schönheit erzählte, statt Ihnen die Beschreibung eines Gartens zu geben, so
werden Sie es doch sehr verzeihlich finden, wie sich ja zum Lobe des früheren weit mehr sa-
gen läßt, als zum Lobe des späteren. Kurz, der Garten ist der Art, wie wir Beide schon oft ge-
sehen haben - es ist ein regelmäßiges Viereck, in dessen Mitte sich eine Fontaine befindet
auf einem runden Platze, den Neptun mit einigen seiner Diener darstellend. Von hier gehen
bedeckte Gänge in regelmäßigen Zwischenräumen nach allen Seiten und münden in eine
Allee, welche inwendig rund um die Einfassung des Gartens verläuft.
Einen Bericht über eine Hauptstadt geben und den Palast des Regenten nicht erwähnen, wür-
de den Schein erwecken, als gäbe es dort nichts Derartiges – und auch nur um dies zu ver-
meiden, erzähle ich Ihnen, daß es hier ein königliches Schloß gibt von unregelmäßiger Bau-
art und dunkelem und schmutzigem Aussehen, ganz und gar nicht der Erwähnung werth. Es
ist gegenwärtig die Residenz des Prinz-Regenten, da der König von der Regierung ausge-
schlossen ist, und in seinem Sommerpalaste ungefähr 5 Meilen von der Stadt lebt.
Die Kirchen von Palermo sind sehr zahlreich und sehr schön, die Kathedrale besonders ist
von großer Pracht und Schönheit und gothischem Style erbaut mit Colonaden von feinstem
Marmor und ausgezeichneter Ornamentik in Stein und Mosaik. Die Zahl der Kirchen soll
mehr als 300 betragen und jede ist einem besonderen Heiligen geweiht, welcher natürlich
der Schutzpatron der Kirche ist. Die meisten von ihnen sind Frauen, und man hat gesagt, daß
dieses Geschlecht früher ganz das Gegentheil gewesen sein muß von dem unserer Tage, weil
es in jetziger Zeit als eine der mißlichsten Aufgaben anzusehen wäre, eine Dame zu finden,
die nicht durch einen oder den andern Vorfall, sei es auch nur ein Wenig, von ihrer Heiligkeit
eingebüßt hätte.
Die verehrteste Heilige ist die heilige Rosalie, von der man sagt, daß sie durch ein Wunder,
welches sie durch ihr Vertrauen zu Wege brachte, einst die Stadt von der Pest errettete. Sie
steht in demselben Ansehen, wie die gefeierte Signora von Mon Cerate in Spanien – man be-
tet zu ihr um glücklichen Erfolg, und wenn sich die Dinge auch nur erträglich gestalten, so
schreibt man dieses ihrem Beistande zu und gibt ihr Geschenke dafür. Sie besitzt daher auch
ungeheure Reichthümer und allein die Sammlung von Diamanten, Perlen, goldenen und sil-
bernen Schmucksachen, die ihr gehören, schätzt man auf 1 ½ Millionen Thaler. Jedes Jahr,
ungefähr um die Mitte des Juli,
findet ein großes Fest zu ihren Ehren statt (genannt „heilige
Rosalie“) und dauert 3 Tage. Man sagt, daß es wirklich sehenswürdig ist, und jeder spricht sehr stolz
davon. Und wenn man von den Vorbereitungen in Bezug auf Feuerwerk und Illumination der Straßen
und Kirchen einen Schluß ziehen darf, so muß es eine Sache von großem Maaßstabe und von außerge-
wöhnlicher Art sein. Das Wunderbarste von allen Ausführungen bei dieser Gelegenheit ist die Auf-
richtung einer ungeheuren Maschine in Form eines Triumpfwagens, der beinahe die Giebel der Häuser
überragt und sehr schön und mit Geschmack verziert sein soll. Auf seine Spitze wird ein armes Mäd-
chen - das eine Jungfrau darstellen soll - gestellt und so geehrt, als wäre sie Sta Rosalie selbst; und
von einer großen Menge junger Stiere wird diese gewaltige Maschine unter dem Zurufe einer zahl-
reichen Menge durch die Straßen gezogen. Ich bedaure sehr, daß wir Palermo kurz vor Beginn des
Festes verließen, hätten wir es nicht gethan, würde ich eine ausführliche Beschreibung desselben ge-
geben haben.
Eine andere erwähnenswerthe Merkwürdigkeit Palermos, freilich durchaus verschieden von
der vorigen, ist die Aufbewahrung ihrer Leiche, das heißt derer, die es bezahlen können –
womit die Capuciner meist beschäftigt sind. Die todten Körper werden vollständig ausge-
trocknet durch allerlei Vorbereitungen und dadurch, daß man sie für ungefähr 6 Wochen von
jeder frischen Luft abschließt, ist dies geschehen, so werden sie in die Katakomben gebracht
und aufrecht stehend in die Mauernischen gestellt, in Mönchskleider gehüllt und mit einem
Papier auf ihrer Brust, das Bericht giebt von ihrer Familie, von ihrem Namen, und wann sie
ein Mitglied dieser Gesellschaft wurden. Hier werden sie eine Zeit lang von ihren lebenden
Verwandten besucht, besonders von Frauen, die dort hingehen, um ihren verstorbenen Ge-
mahl zu sehen. Man hat mich versichert, daß es häufig vorkommt, daß sie sich stundenlang
selbst nahe bei ihnen in die Nischen setzen und beten – ob für den Verstorbenen oder für sich
in Anerkennung ihres Unrechtes gegen den Verstorbenen während seines Lebens – ich weiß
es nicht.
Was öffentliche Vergnügen anlangt, so ist hier nur die Oper und die Conversacione – die er-
stere entspricht dem nicht, was Sie wohl erwarten möchten von einem Orte von dieser Be-
deutung und in einem Theile der Welt, wo Vokalmusik zu dem höchsten Grade von Voll-
kommenheit gebracht erscheint. Die Sänger sind vielmehr mit wahrhaft mittelmäßigen Fä-
higkeiten ausgestattet, wenn schon Madame Catarara, eine derselben, für äußerst vollkom-
men in ihrer Kunst gehalten wird – aber ihre Zeit ist vorbei und wird wohl niemals wieder-
kehren. Das Orchester dagegen ist sehr gut, und wie ich dafür halte, im besten Einklang und
exakter Ausführung. Das Haus selbst ist sehr hoch und weitläufig, aber schlecht erleuchtet.
Ist die Oper vorüber, so beginnt die Conversacione, sie ist in demselben Hause; verschiedene
hübsche Säle und Zimmer sind niedlich dazu eingerichtet, aber ihre Ausstattung und ganze
Einrichtung wird Sie nicht einen Augenblick in Zweifel lassen, was Sie dort zu erwarten ha-
ben, mit einem Wort, nicht mehr oder weniger, als ein Spielhaus. Alle Leute von Rang und
Stand, Herzöge, Fürsten, Marquis und Barone, deren es eine unermeßliche Zahl in Sicilien
giebt, versammeln sich hier mit der Absicht, den Rest der Nacht am Spieltische zu verbrin-
gen – nicht Männer allein, nein die Frauen sind besonders erpicht auf diese Art von Amüse-
ment, und da sie immer danach geizen, den höchsten Grad von Vollendung in Dingen, für die
sie passioniert sind, zu erreichen, so haben sie die Kunst des Spielens zu einer solchen Voll-
endung gebracht, daß, wenn Sie nicht scharf auf Ihr Geld auf dem Tische schauen, Sie die
größte Gefahr laufen, dasselbe durch Ihre schönen Nachbarinnen zu verlieren. Unverheir-
rathete Damen spielen niemals – es ist vielmehr dies eine von den Freuden, welche die Ehe
bringt, folglich ein Grund mehr für sie, um sich nach einem Gemahl zu sehnen.
Die Gegend um Palermo ist eine reizende Ebene, reich bebaut und überall sieht man reizende
Landhäuser, die schönsten von ihnen, fast alle Paläste, sind in la Bagaria, 8 – 10 Meilen von
der Stadt entfernt nach Osten zu; auf der andern Seite, ungefähr 5 Meilen ab ist des Königs
Sommerpalast, Favorite genannt, und einige ihm gehörige Meiereien. Der Palast ist im Innern
in Chinesischem Geschmack, mit mehreren Wendeltreppen, Galerien und Holzwerk an der
Außenseite, in jeder Farbe bemalt, so daß es große Ähnlichkeit mit einem ungeheuren Vogel-
bauer hat. Es steht, wie es scheint, in einem sehr großen Garten, aber ich kann Ihnen von
demselben so wenig, wie von dem Innern des Palastes erzählen, da Niemand mit Ausnahme
der Offiziere der Wache einzutreten berechtigt war. Hier lebt der alte Ferdinand IV. und
amüsiert sich mit Jagen und Fischen, in welchen beiden Dingen er ein vollendeter Meister
sein soll. Seine erhabene Gemahlin, die Tochter der berühmten Maria Theresia, lebt gegen-
wärtig, da sie wegen ihrer Intrigen zu Gunsten Frankreichs gezwungen ward, die Insel zu
verlassen, am Hofe zu Wien. Gott verhüte, daß sie jemals zurückkehrt; sie würde niemals
aufhören, Unheil zu stiften.
Der Prinz-Regent, Sohn des jetzigen Königs, der zur Zeit als souveräner Fürst und Herrscher
Von Sicilien betrachtet wird, soll ein gutes Menschenkind sein; sein Äußeres verspricht nicht
Viel. Dennoch ist er sehr beliebt beim Volke; besonders zuvorkommend und freundlich ist er
Gegen alle Brittischen Unterthanen.
Gerade wollte ich meine Beobachtungen über die Hauptstadt von Sicilien mit einer Genealo-
Gie der Königlichen Familie schließen, als ich mich erinnerte, daß ich den berüchtigten
Sirocco noch nicht erwähnt habe – ich werden Sie deshalb noch einige Minuten länger
Zurückhalten.
Dieser Wind weht immer aus Süd-West, weßhalb man glaubt, daß er aus der Wüste von Afri-
ka kommt; er ist so heiß, wie die Ausströmung eines Ofens und wohl meist sehr scharf. Ich
erlebte ihn zwei Mal in Palermo, freilich nur für 12 – 16 Stunden, zuweilen hält er länger als
2 Tage an. Kein Mensch verläßt während der ganzen Zeit sein Haus, vielmehr schließt Jeder
seine Thüren und Fensterladen, und wenn der Wind länger als einen Tag anhält, so ist man
gezwungen, die Zimmer beständig mit frischem Wasser zu besprengen, um sich kühl zu er-
halten. Zu Palermo ist er am fühlbarsten; ein Satz freilich, der paradox zu klingen scheint,
da ja die andere Seite der Insel der Küste von Afrika näher ist, als die von Palermo.
Am 22. Juni rückten wir aus Palermo in der Richtung nach Messina, und die erste Unbe-
quemlichkeit, der wir begegneten, war der Sirocco – ich erzählte eben von ihm. Wir trafen
es noch sehr günstig, da wir gerade bei Nacht marschierten – zu anderer Zeit würde es gera-
dezu unerträglich gewesen sein – aber dessen ungeachtet waren unsere Gesichter beinahe
verbrannt, nicht allein durch die Gluth des Windes, sondern auch durch den Wirbel von Sand
und Staub, der uns mit größter Heftigkeit entgegen stürzte. Endlich gingen wir in unsere
Quartiere zu Termine um 3 Uhr morgens und erfuhren, daß es wegen der schlechten Wege
unausführbar sein würde, bei Nacht weiter zu marschieren. In der Mitte des Tages gingen
wir dann ab nach Cejala, einem kleinen, aber sehr lebhaften Orte. Die Officiere, sieben von
uns (die andere Hälfte des Regimentes war noch einen Tagesmarsch hinter uns) waren alle
in einem erträglichen Wirthshause einquartiert, und wir untersuchten Alles, um es uns so be-
quem als möglich zu machen. Am Abend gingen wir in die Oper, von der uns eine Einladung
zugegangen war – das Haus und Alles war besser, als wir erwarteten, aber ermüdet durch die
Hitze des Tages warteten wir das Ende des Stückes nicht ab. Wie erstaunten wir aber, als wir
sahen, daß bei unserem Fortgange der Vorhang mitten in der Scene fiel, die Musik aufhörte
und die ganze Oper zu Ende war. Erst nachher erfuhren wir, daß diese ganze Aufführung nur
uns zu Ehren veranstaltet war, und daß die übrigen Zuschauer die andere Hälfte des Stückes
niemals zu sehen bekommen haben. Den nächsten Tag hatten wir noch Ruhetag hier, und da
wir einige der gestrigen Künstler uns gegenüber wohnen sahen, so luden wir sie zum Diner
ein, und in der That, wir hatten die Ehre, die beiden ersten Damen mit ihren vorgeblichen
Ehemännern an unserer Tafel zu sehen. Zuerst war die Unterhaltung nur ziemlich armselig,
aber bald begann der Wein auf unsere Gäste zu wirken – die Damen wurden außerordentlich
lebhaft, und die Herren in einem sehr hohen Grade tolerant, kurz wir hatten reichlich unseren
Spaß mit ihnen und zuletzt hatten wir das Vergnügen, sie alle so berauscht zu sehen, daß die
Frage gar nicht aufkommen konnte, ob sie nicht eine andere Oper diese Nacht geben würden,
welche wir uns andernfalls gewiß nicht hätten entgehen lassen.
Von unseren anderen Quartieren zu St. Stephano, St. Agata, Patty und Barcelona ist nicht viel
zu sagen, nur daß jeder von uns zu Ende unseres Marsches fast erschöpft war durch die un-
ausgesetzte Hitze und die abscheulichen Wege; keiner hatte mehr Lust, noch nach Seltenhei-
ten oder Ergötzlichkeiten auszuschauen. Die Gegend, die wir passierten, ist unausgesetzt
bergig, und so soll es überall auf der Insel sein; Sie könnten deshalb vermuthen, daß die Stra-
ßen und Wege in sehr gutem Zustande wären, aber wirklich ihre Schlechtigkeit übersteigt
alles in der Art. Es ist Nichts da, als nur ein Fußpfad, allein für Maulthiere passend, und zu-
weilen auch das nicht einmal; wir waren wenigstens die Hälfte des Weges gezwungen, zu
Fuß zu gehen und die Pferde mit größter Vorsicht zu führen, damit sie nicht nur von uner-
meßlichen Höhen herabstürzten, und desto unglaublich als wahr ist, daß diese Straße als
Kunststraße betrachtet wird. Natürlich – denn Arbeiten ist in diesem Lande eine höchst unge-
wohnte Beschäftigung. Nur Leute, die im Innern des Landes Geschäfte haben, oder Freunde,
die den Charakter des Landes kennen lernen wollen, gehen zu Lande, alle Andern ziehen den
Seeweg vor. Jene Reisenden machen für ihre Reisen gewöhnlich von Maulthieren Gebrauch,
aber menschliche Klugheit hat hier, wo Wagen so wenig als Schlitten gebraucht werden kön-
nen, den Freunden der Bequemlichkeit einen großen Dienst geleistet in der Erfindung einer
Maschiene, welche in einiger Hinsicht dem Zwecke beider entspricht. Es ist ein Kutschensitz,
auf zwei einander gewölbeten Balken ruhend, beinahe ebenso wie unsere Sänften, aber an-
statt von Trägern wird es von zwei kräftigen Maulthieren getragen. Es faßt zwei Personen,
die sich einander gegenüber sitzen; ihr Gepäck wird auf ein drittes Maulthier geladen, das
vom Maulthiertreiber selbst geleitet wird, und die beiden andern, die sogenannten Wagentra-
gen, folgen genau auf Schritt und Tritt dem früheren Thiere, so daß der Weg zu Wagen eben-
so sicher als bequem ist.
Am 30. Juni kamen wir in Messina an, aber ehe wir die Stadt betraten, hatten wir eine wun-
derschöne Aussicht von einem hohen Berge aus, genannt der Korkzieher-Berg, denn die
Straße, die auf ihn hinaufführt, ist wie ein Korkzieher gewunden. Ich habe manche schöne
Aussicht in der Welt gesehen, aber keine, die mich so sehr angezogen hat, wie diese. Ich
gestehe, daß der unerwartete Anblick viel zu diesem gefälligen Eindruck beigetragen haben
mag, aber dessen ungeachtet denke ich, es giebt keine pittoreskere Landschaft in der Welt.
Wir waren mehrere Stunden durch eine ziemlich wilde und eng eingeschlossene Gegend
marschiert, eben hatten wir den letzten Höhepunkt einer Bergkette erreicht, - als wir mit
einem Male Messina mit seinem Hafen, den ganzen Canal zwischen Sicilien und Italien mit
seinen beiden Ufern vor unseren Blicken liegen sahen, einige tausend Fuß unter uns – die
gegenüber liegenden Berge von Calabrien schienen sich über die Wolken zu erheben –
links waren einige von den Liparischen Inseln zu sehen, unter denen sich der Strombolo
durch sein beständiges Rauschen sehr bemerkbar machte.
Indem ich noch einmal überschaue, was ich über diese prächtige Landschaft geschrieben
habe, verzichte ich darauf, Ihnen auch nur einen ganz schwach skizzirten Umriß davon ge-
geben zu haben – ohne Leben und Farben, und dennoch bilde ich mir ein, sie so geschildert
zu haben, wie sie vor meinen Augen stand. Ich gestehe offen die Ungeschicklichkeit meiner
Feder in Schilderung der Natur zu, und in der That, halte ich es auch für äußerst schwierig
und für eine Kunst, in der nur äußerst Wenige Erfolg haben; und wenn dies nicht zum
Glücke für uns der Fall wäre, würde keiner sich die Mühe geben, mit irgend welcher Neu-
gierde auf die Dinge um sich her zu sehen, sondern er würde sich mit der Beschreibung
derselben begnügen und die Folge wäre gewesen, daß eine große Menge von Erfindungen
und Entdeckungen unterblieben wäre, die allein Neugierde hat entstehen lassen und darum,
mein lieber Freund, wenn Sie mit meiner Beschreibung nicht zufrieden sind, so kommen
Sie und sehen Sie selbst, und Sie werden meine Behauptungen sehr wahr finden.
Messina ist eine Stadt zweiten Ranges in Sicilien; sie ist einst schön gewesen, aber durch das
Erdbeben vom Jahre 1783 hat sie ungemein gelitten, so daß in einzelnen Stadttheilen noch
jetzt die Hälfte der Straßen in Trümmern liegt. Alle Häuser an der Merine, einer sehr schö-
nen Straße, sind zerstört gewesen; man beginnt sie wiederum aufzubauen, und wirklich in
einem sehr prächtigen Style, dem sich jeder auf Befehl des Königs anbequemen muß –
aber noch nicht die Hälfte ist vollendet, und ich bin geneigt zu glauben, daß sie niemals fer-
tig wird, da der Plan viel zu ausgedehnt und in zu großem Maaßstabe angelegt ist.
Die Stadt selbst liegt zwischen einem Bergrücken und dem Strand, und nimmt eine äußerst
Kleine Bodenfläche ein. Der Hafen ist besonders gut, sowohl zur Sicherung gegen die Ge-
Walt der See, als auch gegen einen nahenden Feind. Die öffentlichen Vergnügungen sind
Hier, wie in Palermo, nur etwas mehr en miniature; Sie haben hier den Spaziergang auf der
Merine, die Conversacione, die Oper, und ich für mein Theil gebe der letzteren vor der in
Palermo den Vorzug. Überhaupt, wie ich Ihnen schon sagte, ich ziehe Messina in mancher
Hinsicht Palermo vor, - das Volk ist hier auch bürgerlicher – die Hitze ist nicht so drückend,
da ein frischer Lufthauch auch beständig durch den Kanal zieht, dazu sind Sie hier viel unge-
bundener, brauchen nicht erst allemal, wenn Sie ausgehen wollen, nach einem Pferde oder
einer Sänfte zu rufen, sondern Sie können sich auf Ihren zwei Beinen hin bewegen, wohin
Sie wollen, was alles in Palermo für sehr unschicklich gehalten wurde, weil man dort einen
anständigen Menschen niemale zu Fuße durch die Straßen spazieren gehen sehen wird.
Der Canal zwischen hier und Calabrien ist 6 Meilen breit, aber ungefähr 8 Meilen weiter auf-
wärts in der Nähe der Scylla nur 3 Meilen. Als im Jahre 1810 – 1811 die Franzosen eine
Landung in Sicilien beabsichtigten und zu diesem Zwecke auf dem gegenüber liegenden
Ufer eine Armee von über 20.000 Mann gesammelt hatten, die Engländer aber an diesem
Ufer ungefähr 15.000 Mann stark standen, muß es sehr interessant gewesen sein, diese bei-
den Armeen, die größten Feinde auf der Welt, so dicht bei einander zu sehen, ohne doch ir-
gend wie zur Aktion kommen zu können. Aller Nachtheil, den sie einander thun konnten,
ward durch kleine Boote vollführt, von denen auf beiden Seiten eine beträchtliche Anzahl
vorhanden war. Oder sie schossen auch von ihren schwerfälligen Batterien und Vierund-
zwanzigpfündern, aber ohne besonderen Erfolg. Einmal gelang es den Franzosen während
der Nacht 4000 Mann überzusetzen, aber sie wurden so nachdrücklich empfangen, daß sie
die Lust zu einer ähnlichen Probe verloren. Einen sicheren Erfolg erwarteten sie lieber von
einer Verschwörung, an deren Spitze die Königin von Sicilien stand, und deren Plan nichts
Geringeres war, als in einer Nacht, wenn der Wind von Calabrien wehte, die Brittischen
Truppen in ihren Baracken zu überraschen, die Offiziere zu ermorden, und besonders die
Befehlshaber, die in der Stadt wohnten, und in dieser Verwirrung, die natürlich eintreten
mußte, den Franzosen Gelegenheit zu geben, mit ihrer ganzen Macht zu landen.
Zum Glück wird dieser teuflische Plan – die Schöpfung eines Weibes – noch zeitig genug
entdeckt, eine große Anzahl eingekerkert, Einzelne gehängt, unter den letzteren der Präsi-
dent des Gerichtes, ein Mann von höchstem Rang, der nur auf bestimmte Befehle der Kö-
nigin, die sie nachher leugnete, gehandelt hatte. Er wurde von seinem eigenen Gerichtshofe
zum Tode verurtheilt, weil er das Haupt der Verschwörung gewesen sei. Nach diesem Miß-
geschick haben die Franzosen nie wieder Etwas gegen Sicilien versucht, sondern nur eine
kleine Armee in Calabrien behalten zur Vorsicht, damit die Brittischen Truppen auf der
Insel nicht die Armee in Spanien verstärkten.
Jetzt, da der allgemeine Friede dem ganzen Kriege ein Ende gemacht hat, so hat Sicilien ,
das ohne den Schutz der Engländer so bald und leicht erobert wäre, jene mächtigen Fran-
zösischen Heere gesehen, ohne Etwas von ihnen zu erleiden; es ist vielmehr im Gegentheil
das einzige Land, das in der That durch diesen Krieg gewonnen hat, ebenso in Bezug auf
Bildung als auf Wohlstand, da es niemals vorher Gelegenheit hatte, seine Güter und Pro-
dukte so bequem und zu so hohen Preisen zu verkaufen, als es that und noch thut, niemals
hat man auch so viel Geld in Sicilien circuliren sehen, als damals durch die Englische Re-
gierung und Armee in Umlauf gebracht ist. Wahrlich, in jeder Hinsicht ist Sicilien für sein
gegenwärtiges Gedeihen England verpflichtet, und nichtsdestoweniger haßt das Volk seine
Wohltäter mit aller Kraft. Obgleich sie Ihnen jede Aufmerksamkeit erzeigen, so doch nur,
weil sie besorgt sind, Sie möchten sie erzwingen. Selbst, wenn sie zuweilen zutraulich zu
Ihnen sind, so geschieht dies nur, weil sie Geld bei Ihnen vermuthen und Sie gern darum
betrügen möchten durch Spielen oder auf irgend einem andern Wege. Überhaupt im Allge-
meinen sind die Italiener keinen Fluch werth (um einmal rein Englisch zu sprechen), Moral
kennen sie nur dem Worte nach, aber mit Laster und Ausschweifung, ausgenommen im
Essen und Trinken, sind sie von ihrer frühesten Jugend an sehr wohl vertraut. Es hat Bei-
spiele gegeben, wo Eltern und Kinder, und letztere untereinander, sich mehr geliebt haben
als ihre Blutsverwandtschaft zuläßt. Manche Mutter aus den niedrigen Ständen treibt mit
der Jugend ihrer Tochter Handel, und im Allgmeinen hat jeder Mann und jede Frau einen
Tag nach der Hochzeit ihr Versprechen vergessen, was sie einander vor dem Altar gegeben
haben. All dieses bitte ich Sie nicht als meine eigenen Bemerkungen aufzufassen – dafür
wäre ich zu wenig bekannt mit den Sicilianern – ich habe dieses von vielen wohlunterrich-
teten Männern erzählen hören, die diese ganzen 9 Jahre unter ihnen gelebt haben, und die
kurze Bekanntschaft, die ich mit ihnen gemacht habe, ließen mich dies für volle Wahrheit
halten. Ein anderer Fall, der nur für die glaublich ist, welche die Sicilianer kennen, wird
Ihnen eine Idee von der Verderbnis ihres Charakters geben. Es war auf einem Ball, welchen
die Garnison vor einigen Jahren dem Adel der Stadt gab, als beim Souper ihre edlen Gäste
nicht allein ihre Taschen mit Kuchen und Konfekt von der Tafel füllten, sondern, was gera-
de von einigen Officieren bemerkt wurde, einige packten auch verschiedene silberne Ga-
beln und Löffel ein, und als am nächsten Tage in ihre Häuser nach diesen Dingen gesandt
wurde, stellten sie dieselben zurück mit der Entschuldigung eines Mißverständnisses, ohne
irgend darüber in Verwirrung zu sein. Ich habe Ihnen nun soviel von Sicilien und seinen
würdigen Bewohnern erzählt, daß ich diesen langen Brief schließen und Ihnen den Rest
ein andermal geben muß.
Messina, d. 19.
August 1814
In den letzten 3 Tagen war ganz Messina nichts als Freude, man feierte einen großen Fest-
tag, den sie „Maria de la lettera“ nennen. Ich habe es niemals für möglich gehalten, daß
Aberglauben ein Volk glücklich machen könnte – aber ich habe die Bewohner von Messina
fast toll vor Freude gesehen, indem sie dem Aberglauben in seiner lächerlichsten Gestalt
dienten. Der Ursprung dieses berühmten Festes geht in die fernsten Zeiten zurück. Als Mes-
sina einst von den Saracenen belagert ward und die Einwohner in der größten Noth waren,
wurde ein Brief von der Jungfrau Maria durch eine schöne Galeere gebracht, welcher allen
Messinesen ihre besten Glückwünsche brachte, und worin sie versprach, sie und die Stadt
unter ihren besonderen Schutz zu nehmen und sie von allem ihren Unglück zu befreien. Dies
geschah auch bald darauf, aber wie und auf welche Weise ist unbekannt, obgleich dieser
Brief von Marias heiliger Hand geschrieben, bis auf diesen Tag aufbewahrt und auf Befehl
der Kirche als das Heiligste der Welt betrachtet wird. Zur Erinnerung an dieses Ereignis ist
eine Galeere von ausgezeichneter Arbeit mit einer Fülle von Vergoldung, Kanonen und ei-
ner beträchtlichen Anzahl von Schiffsvolk erbaut und so oft nun dieses Fest gefeiert wird,
wird sie auf einem großen viereckigen Platz aufgestellt und ist dann die Bewunderung der
ganzen Stadt. Am Abend und fast die ganze Nacht hindurch ist sie bis an die Mastspitzen
sehr schön erleuchtet, und zwei Musikchöre spielen abwechselnd sehr hübsche Stücke. Zur
selben Zeit sind alle Straßen der Stadt und besonders die Kirchen ebenso prächtig erleuchtet,
alle drei Nächte hindurch und in der Hauptkirche, glaube ich, sind über 10.000 Wachskerzen
angezündet, welche in äußerst gefälliger Abwechslung an den Wänden und Säulen befestigt
sind, so daß die Gewölbe der Kirche ganz wie der Himmel in einer kalten Winternacht aus-
sehen. Feuerwerke, die ich in Sicilien schöner als irgend wo gesehen habe, sprühten auf je-
dem Platze und das Volk war so beschäftigt, alle diese Dinge zu beschauen, daß es oft sehr
schwierig war, durch die Haufen der Beschauer in den Straßen sich durchzuwinden. Der drit-
te und letzte Tag übertraf wie immer Alles, was die beiden vorigen aufzuweisen hatten.
Gleich am Morgen begann das Donnern der Kanonen von den Batterien und der Flotte und
hörte den ganzen Tag nicht auf, das ganze Volk war in vollständiger Verzückung vom Edel-
mann bis zum Bettler, und es schien, als ob ein electrischer Schlag sie nur gerade für das ei-
ne Ding empfindsam gemacht hätte, so daß, wer Messina nur an diesem einen Tag gesehen,
geglaubt hätte, der Ort sei verzaubert. Die äußerste Anstrengung wurde gemacht, um die
Straßen und Häuser verschieden zu schmücken, und was von Glanz die Messinesen aufbie-
ten konnten, sah man an diesem Tage. Ungefähr um 2 Uhr Nachmittag wurde eine Maschine
beinahe 50 Fuß hoch, von Tausend und aber Tausenden durch die Hauptstraße nach der Ka-
thedrale gezogen. Sie ist die Erfindung eines Mönches und stellt die Jungfrau Maria dar, von
Engeln in den Himmel erhoben. Die Maschiene selbst ist von Eisen und steht auf einer
Schleife; die Decoration ist wolkenähnlich, über welchen Sta Maria steht bei einem Kinde
auf einem Thron. Engel, 72 an der Zahl, fliegen nach verschiedenen Richtungen unter und
um sie her, was durch horizontale und propendiculare Räder an der Maschiene bewirkt wird,
an welchen die Engel befestigt sind, und um welche sie sich in kreisender Bewegung drehen.
Vielleicht möchten Sie glauben, die Jungfrau Maria und ihr Gefolge seien Statuen, nein, da
bitte ich sehr, jeder von ihnen ist ein wohlgeborener Messinese, und die Eltern haben außer
einigem Geld, das sie dafür empfangen, noch das Versprechen von den Priestern, daß, wenn
zufällig eines dieser Kinder bei den Funktionen eines Engels sterben sollte, sie, wenn gestor-
ben, unverzüglich wirkliche Engel im Himmel würden. Aus dieser Überzeugung betrachten
sie das gestorbene Kind für glücklicher, als es gewesen sein würde, wenn es sein Leben ge-
spart hätte. Ich sah in der That die Hälfte der Kinder nach mehr als dreistündiger Bewegung
wie im Todtschlaf an den Rädern hängen und man sagt, saß zwei von ihnen niemals wieder
die Augen öffneten. Wie ist es möglich, daß in unseren Tagen der Fanatismus über jedes na-
türliche Gefühl die Oberhand gewinnen kann, so daß Eltern zu Mördern ihrer eigenen Kinder
werden! Was für Segnungen kann eine Religion gewähren, deren Hauptgegenstand es ist, das
Volk unwissend und dumm zu erhalten, und welche Wohlthat kann es für einen Mann von
gesundem Menschenverstande sein, wenn er die lächerliche und betrügerische Art sieht, wie
seine Priester ihn zur Verehrung seines Schöpfers bringen wollen.
26. August 1814
Gestern machten wir eine sehr hübsche Parthie gegenüber nach Reggio, einer Stadt in Cala-
brien, ungefähr 12 Meilen von hier. Die Gesellschaft bestand aus 8 Personen, Officieren aus
unserer und der Deutschen Legion. Wir fuhren gleich amMorgen aus; der Tag war sehr
schön, der Wind ganz zu unseren Gunsten, und das Boot so wohl bemannt, daß wir nach
1 ½ Stunden Fahrt in Reggio ankamen, welches gerade dicht am
Gestade liegt. Der Comman-
dant des Platzes, der von unserer Ankunft benachrichtigt war, hatte zwei Officiere seines Sta-
bes an den Landungsplatz gesandt, um uns zu erwarten. Sie begrüßten uns in sehr schlichter
Weise und erzählten uns, der Commandant sei zu einem Geschäft zum General nach St. Inan
berufen, aber er habe gewünscht, daß sie uns erwarteten und uns alle Sehenswürdigkeiten
zeigten, - was er auch ohne Bedenken thun konnte, da in einer Festung nicht viel Wichtiges
für und zu sehen war. Nach dieser Einführungs-Ceremonie gingen wir durch die Hauptstra-
ßen der Stadt, fanden aber dort Nichts, was unsere Aufmerksamkeit erregte. Die Einwohner
sahen auf uns als eine große Merkwürdigkeit, und auf unsere Tschakos zeigend, fragten Sie:
Husaren des Todes? Andere unter der geringen Bevölkerung bemerkten wir, wie sie sich en-
ger an uns anschlossen, und wenn sie sich unbeachtet von Anderen glaubten, uns mit größter
Freundlichkeit grüßten. Zuerst hielten wir sie für Leute, die sich anwerben lassen wollten,
aber zuletzt fanden wir, daß es unsere alten Freunde waren aus dem Calabrischen Freicorps,
mit denen wir in Spanien zusammen gedient hatten, und die, als im Frieden dieses Corps auf-
gelöst wurde, in ihre Heimath zurückgekehrt waren. Während des Krieges waren sie immer
sehr gut Freund mit unseren Leuten gewesen, indem wir häufig zusammen auf Vorposten wa-
ren, und da sie nun Officiere ihrer Freunde sahen, wollten sie uns zu verstehen geben, daß sie
uns kannten, ohne doch von ihren Landsleuten beargwohnt zu werden, daß sie in Brittischen
Diensten gewesen seien. Von der Stadt gingen wir ein gut Stück Weges ins Land hinein zwi-
schen prächtigen Gärten hin, welche alle in höchstem Kulturzustande waren, und in einem
von ihnen war in einer grünen Laube, von Citronenbäumen gebildet, ein Imbiß von verschie-
denen, kalten Speisen, sehr schönen Früchten aller Art, Eis und Wein zubereitet. Einige von
den Vornehmen der Stadt hatten sich der Parthie angeschlossen und begrüßten uns mit einem
Trinkspruche zu Ehren der Brittischen Armee; indem sie den Wunsch hinzufügten, daß Cala-
brien immer so glücklich sein möchte, sich den Freund Großbritanniens nennen zu dürfen.
Diese Höflichkeit wurde von unserer Seite mit soviel Beredsamkeit erwidert, als der zungen-
fertigste von uns aufbringen konnte – aber so gewiß wir nicht gegen sie aufkommen konnten,
im Wünschen, so gewiß war die Überlegenheit im Appetit auf unserer Seite, da wir uns nicht
mit dem Frühstück vorgesehen hatten, und nur mit einer Erfrischung bis gegen den Nachmit-
tag gewartet hatten. Der Tag war schon ziemlich weit vorgeschritten, als wir zu unserem
Boote zurückkehrten, wir verabschiedeten uns also von unseren neuen Freunden, luden sie
ein, uns in Messina zu besuchen, damit wir doch ihre Freundlichkeit vergelten könnten, was
sie auch versprachen, und fuhren ab. Der Wind hatte sich wieder zu unseren Gunsten gedreht
und wehte sehr frisch, unser Boot flog beinahe durch die Strömungen und die Charybdis –
die wir passieren mußten - und in einer Stunde waren wir am Ufer, wo wir am Morgen aus-
gefahren waren.
Messina
Unter anderen Berichten hatte der von unserer Zurückkunft nach Genua für eine gute Zeit die
Oberhand, wenn auch ohne alle Authorität, und er befand sich doch gerade unter den fal-
schen Nachrichten, deren wir täglich eine große Menge erhielten. Da kamen plötzlich Briefe
aus Genua mit guter Bürgschaft, daß Order von England gekommen sei, unsere Einschiffung
nach Genua betreffend, daß nämlich Schiffe von dort nach Messina zu diesem Zwecke abge-
sandt seien und Quartier für uns bestellt worden sei.
Im Allgemeinen nicht unzufrieden mit diesen Neuigkeiten, da ich Genua allen Städten am
Mittelländischen Meere vorziehe, würde ich es doch sehr bedauert haben, wenn ich diese In-
sel verlassen hätte, ohne den Aetna gesehen zu haben. Es war nicht schwer, Andere zu fin-
den, die mit meinen Wünschen übereinstimmten, und so bat denn eine Parthie von vieren
von uns um Urlaub, der auch gewährt ward. Am nächsten Tage vor Sonnenaufgang bestiegen
wir unsere Pferde und machten uns auf, den Aetna zu besuchen und alles Sehenswürdige in
jenem Theile der Insel Sicilien zu betrachten. Nach Sonnenaufgang hatten wir viel Vergnü-
gen über die Gesichter, die wir schnitten, nicht allein weil jeder sich so gekleidet hatte, wie
es ihm für seine Bequemlichkeit am besten erschien, sondern weil er noch einen Mantelsack,
einen Überrock und selbst noch eine Reisedecke hinter sich aufgeschnallt hatte – die Diener
aber waren mit Feldflaschen für unsere Erfrischung beladen und deshalb nicht fähig, noch ir-
gend Etwas zu tragen. Unser erstes Nachtquartier war Jarry, ein ärmlicher Ort, ungefähr
42 Meilen von hier; das Wirthshaus dort war aber besser als wir erwarteten, wenigstens wa-
ren die Betten erträglich und das war Alles, was wir wünschten, da wir durch die Hitze des
Tages etwas ermüdet waren. Die Sonne fand uns am nächsten Morgen wieder zu Pferde, und
ein beträchtliches Stück weiter kamen wir nach Nicolossa, welches fast am Fuße des Aetna
liegt. Von Jarry an war der Weg sehr schlecht, beständig über Lava führend, ab und zu hüge-
lig; nicht selten war es mit den größten Schwierigkeiten verknüpft, daß die Pferde ihren Weg
durch die Massen von Steinen fanden, die die Straße bildeten. Doch unser Eifer, das Ziel un-
serer Reise so bald als möglich zu erreichen, ließ uns keine Zeit, über diese Schwierigkeiten
Betrachtungen anzustellen, und so hatten wir dann um 12 Uhr 24 Meilen seit dem Morgen
zurückgelegt und kamen in Colassa an. Das Wetter war ungemein klar und in Folge davon
der Aetna auch, so daß wir bereits am Morgen, als wir Jarry verließen, ganz dicht an seinem
Fuße zu sein glaubten. In Colassa ließen wir unsere Pferde, mietheten einen Führer und
Maulthiere, und nachdem wir uns mit allem Möglichen, was zu unserem Bedürfnis und unse-
rer Bequemlichkeit dienen konnte, versehen hatten, machten wir uns um 2 Uhr nachmittags
auf den Weg und bestiegen auf Maulthieren, den Führer an der Spitze, den Berg.
Ehe ich weiter in der Beschreibung unserer Expedition fortfahre, halte ich es für nöthig, Sie
mit der Beschaffenheit des Berges selbst bekannt zu machen. Sie wissen, es ist ein Vulkan,
und was man Aetna nennt, ist jener ungeheure Bergcoloß, der inmitten einer großen Zahl von
Bergen geringerer Höhe sein Haupt weit über die Wolken erhebt, gleichsam die Mutter von
all den in der Nähe befindlichen – wenigstens alle diese einzelnen kleinen Berge sind von
derselben Beschaffenheit wie der Aetna, alle gleicherweise vulkanisch und gleichsam An-
hängsel vom Aetna. Sein Umfang ist deshalb mit Einschluß dieser Anhängsel auf mehr als
150 Meilen berechnet. Er ist in 3 Regionen getheilt nach seiner Erhebung über den Horizont
der Gegend. Die niedrigste heißt die fruchtbare, die mittelste die waldreiche und die höchste
die unfruchtbare – und in der That, jede Gegend trägt ihren Namen mit vollem Recht, beson-
ders die obere und untere. Denn die erstere bringt nicht einen einzigen Busch oder Strauch
hervor, während die letztere nur Glanz und Pracht athmet, und die Natur alles Mögliche thut,
um das hier lebende Volk für die Gefahren zu entschädigen, denen sie durch die Eruptionen
ausgesetzt sind. Nur bis zur waldigen Region wohnen Leute, man sagt, weil der Erwerb dort
zu schwierig und der Berg selbst zu steil ist – aber die Temperatur der Luft ist dort nicht al-
lein köstlich, sondern außerordentlich gesund, daß es als gewiß erzählt wird, daß in jenen ver-
einzelten Dörfern in der waldigen Region, wie Trecastannia etc. niemals ein Mensch außer
durch einen unglücklichen Zufall unter 80 Jahren stirbt.
Die Substanz des Berges ist ganz und gar Lava, welche durch die Länge der Zeit und den
Einfluß der Luft in fruchtbaren Boden verwandelt ist – aber weite Strecken, die Ströme
späterer Eruptionen, selbst von denen des 16. Jahrhunderts, liegen ganz unbebaut, und es
wird noch lange Jahre dauern, ehe sie einen Schein von Fruchtbarkeit annehmen. Diese Lava-
ströme bieten aber einen wahrhaft traurigen Anblick, umso mehr, wenn man die Verwüstun-
gen betrachtet, die durch sie angerichtet sind, wenn sie sich ihren Weg durch die prächtigsten
Wälder, Weingärten und in der That schönste Gegend bahnten. Nichts in der Welt kann ihnen
widerstehen, weder Thäler noch Hügel zwingen sie, ihren Lauf zu ändern, die ersteren füllen
sie aus bis zur Höhe der letzteren und so setzen sie ihren Lauf fort, so lange die Eruption dau-
ert. Nicht immer entladen sich die Eruptionen aus dem, was man Crater nennt, der auf dem
Gipfel des Berges ist, sondern sehr oft geschieht der Ausbruch unterhalb desselben an der
Seite des Berges und bietet dort einen neuen Crater – selbst jener schreckliche Ausbruch im
Jahre 1662, welcher einen großen Theil des Landes nach Catania zu und diese Stadt selbst
verwüstete, war ein Ausbruch des Berges Rosso, dicht bei Colassa und dem Anschein nach
gar nicht mit dem Aetna verbunden. Die Lava selbst besteht aus unverbundenen großen Stei-
nen, gewöhnlich von schwarzer Farbe und schollenförmiger Gestalt; aber sie sind durch eine
unberechenbare Gewalt fest an einander gebunden, daß man sie oft nur für eine Masse gehal-
ten hat. Nicht mit einer rapiden Schnelligkeit, wie man im Volke, das keine Gelegenheit hat,
sie flüchtig zu sehen, wohl anzunehmen geneigt ist, überschwemmt die Lava das Land, nein,
ihre Bewegung ist äußerst langsam und ihr Vorrücken wird nur durch das beständige Nach-
rücken von Steinmassen aus dem Crater bewirkt, durch dessen Kraft die ganze Masse nur
vorwärts geschoben und in ununterbrochener Bewegung gehalten wird. Dem untersten Theile
nach mag in der Lava wohl eine Art von Fluß sein, da die Masse dort mehr gediegen, wie aus
einem Stück ist, aber oben ist sie ganz ausgebrannt und ganz der gewöhnlichen Schlacke ähn-
lich. Von dem Feuer, welches dies bewerkstelligt, und von der Gewalt der Explosion kann
sich keiner eine Idee machen, aber man hat mich versichert, daß es nach einer Eruption einer
Zeit von 6 Wochen bedarf, ehe die Lava kalt wird.
Ich würde etwas darum geben, wenn ich einen Ausbruch des Aetna sehen könnte – doch miß-
verstehen Sie mich nicht; es ist wahrlich nicht mein Wunsch, meine Neugierde auf Rech-
nung von anderer Leute Unglück zu befriedigen – ich meine nur, wenn gerade ein Ausbruch
wäre, möchte ich, daß es in meiner Macht stände, zur Stelle zu sein.
Jetzt, denke ich, habe ich Sie so viel mit den Eigenthümlichkeiten des Berges bekannt ge-
macht, als nöthig war, um einmal zu verhindern, daß ich zu oft die Beschreibung unserer Be-
steigung des Berges hätte unterbrechen müssen, dann aber auch, was noch schlimmer gewe-
sen wäre, daß ich nicht überall verstanden wäre.
Nach einem einstündigen Ritt, wobei wir einen Lavastrom über den andern passirten, kamen
wir an die waldige Region. Da der Tag übermäßig heiß war, freuten wir uns ungemein, daß
wir hier Schutz vor der Sommerhitze fanden; doch setzten wir ohne Unterbrechung unseren
Weg fort, und nur von Zeit zu Zeit, wenn der Wald offen war, hielten wir für einige Minuten
an, um rückwärts in das Land weit unter uns zu schauen und den armen Maulthieren eine ge-
ringe Rast zu gönnen. Ich muß gestehen, als ich das Thier zuerst bestieg, fühlte ich eine leise
Unruhe, daß ich nicht die geringste Macht über dasselbe hatte – ein kleines Seil an den Kopf
des Thieres gebunden war die einzige Art, es zu lenken, aber nachher war ich außerordent-
lich damit zufrieden, als sie über die gefährlichsten Stellen mit der größten Zuverlässigkeit
und Sicherheit hinwegschritten.
Damit schließt das Manuskript, die überaus interessante Besteigung des eigentlichen Gipfels
ist leider unvollendet geblieben.
Aus mündlichen Mittheilungen des Rittmeisters wissen wir, daß sie vor der Besteigung des
Gipfels die Nacht in einem zu solchen Zwecken erbauten Hause ohne Bewohner zubringen
mußten. Es wurde ungeachtet der südlichen Lage in dieser Höhe über 10.000 Fuß so kalt,
daß einem der Reisegenossen beide Ohren erfroren. Die Aussicht am Morgen ist über alle
Beschreibung entzückend gewesen. Die herrliche Insel rings zu den Füßen, umgeben vom
blauen Meere, hier und da mit kleinen Inseln bekränzt, darunter Stromboli mit seinem stets
thätigen Vulkane, in einiger Ferne das Festland von Italien, die Rauchwolken des Vesuv
und dahinter die hohen Apenninen.
Ob sie auch die Küste von Afrika haben erblicken können, ist nicht mehr erinnerlich, jeden-
falls hatte der Rittmeister deren nähere Bekanntschaft bei Gibraltar gemacht.
Zu den Aufzeichnungen ist noch zu bemerken, daß unter den Meilen stets Englische zu ver-
stehen sind, deren vier auf die Deutsche gehen.
Die erste Landung auf der Insel geschah bei der Stadt Catania.
Während des Aufenthaltes auf Sicilien hatte der Rittmeister einmal gegen seine Gewohnheit
Glück in der Lotterie. Ein in Noth geratener Schiffscapitän spielte sein Fernrohr aus, der
Rittmeister gewann es auf sein Loos und hat es mit in die Heimath gebracht.
Das Leben mit seinen geselligen Beziehungen zu den zahllosen Herzögen und Marchesen
war doch ziemlich theuer geworden, wie z. B. daraus zu entnehmen ist, daß zu einer Qua-
drille auf einem Maskenball ein vollständiges Kostüm von Sammet und Seide angeschafft
werden mußte. Auch der Rittmeister hatte mehr ausgegeben, als er eingenommen; er mußte
deshalb ein schönes Reitpferd für 800 spanische Thaler verkaufen, womit er seine aufgelau-
fenen Schulden decken konnte.
Noch kurz vor dem Abmarsche hatte ein Kamerad ein fast romanhaftes Glück. Es war ein
junger Leutnant, der Sohn einer Hannöverschen Justizbeamten bürgerlichen Standes, wel-
cher mit einem kränklichen Sicilianischen Arzte in demselben Hause wohnte. Der Arzt klag-
te ihm, daß er nicht gesund werden könne, weil seine Zimmer feucht wären, worauf der
Leutnant bereitwillig auf einen Wohnungstausch einging und der Arzt wirklich genas. Der
Arzt erzählte einem seiner Patienten, der jungen schönen und reichen Herzogin von Monte-
bello von dem Opfer seines Hausgenossen und pries den Leutnant als seinen Lebensretter so
sehr, daß die Herzogin dessen Bekanntschaft zu machen wünschte. Sie sahen sich und lieb-
ten sich, und die Herzogin machte ihrem Anbeter den Heiratsantrag. Betroffen ging er mit
seinen Kameraden zu Rathe, welche ihm aber nicht zureden zu können glaubten, weil er den
zu befürchtenden Nachstellungen der Verwandten mit Gift und Dolch schwerlich entgehen
werde. Allein die Liebe siegte, der Leutnant nahm seinen Abschied, heirathete die Herzogin
und ward baald darauf von dem Herzog von Neapel zum Herzog von Butera creirt. Er ist un-
angefochten geblieben, und der in den 1850er Jahren in den Zeitungen öfter als Neapolitani-
scher Gesandte genannte Herzog von Butera ist vermuthlich sein Sohn. Die Herzogin, wel-
che nicht in dem besten Rufe stand, ist später in ein Kloster gegangen, wo sie ihr Leben be-
schlossen hat, so daß sich der ehemalige Leutnant aus Hannover seines Reichthums und
Glanzes allein erfreuen konnte. Seine Frau hatte ihm so große Schätze zugebracht, daß er
bald nach der Hochzeit an einem Abends ohne erhebliche Kopfschmerzen 70.000 Dukaten
Verspielen konnte.
Bald nach diesem Ereignisse mußten die schwarzen Husaren der schöne Insel, der Stadt
Messina, wo sie ein Frühjahr in der leichtesten Kleidung am Faro sitzen konnten, während
von jenseits die schneebedeckten Apeninen herüberblickten, dem herrlichen Palermo und
dem Aetna für immer Lebewohl sagen, die blühenden und glühenden Sicilianerinnen nicht
zu vergessen. Sie werden wohl nicht allzu traurig gestimmt gewesen sein, denn sie sollten
der lieben Heimath näher rücken, zunächst nach Genua.
Bald nach der Abfahrt, natürlich zu Schiffe, stellte sich ein Begleiter ein, ein prachtvoller,
langgelockter, weißer Pudel von ungewöhnlicher Größe. Er hatte einem Doctor gehört, der
ihn nicht hergeben wollte, der Rittmeister hatte einem Husaren ein gut Stück Geld verspro-
chen, wenn er ihm das Thier verschaffte; der Husar verstand den Wink in seiner Art und der
Pudel wurde dem Doctor - gestohlen. Der Schaden ließ sich nicht wieder gut machen, der
Rittmeister mußte den Hund schon behalten, und nannte ihn nach seinem Geburtsorte, der
Insel Ponzo. Dieser Hund blieb lange Jahre der stete Begleiter des Rittmeisters; alte Leute
in Sandau wußten noch davon zu erzählen, mit welchem Geschicke der Rittmeister mit
Pferd und Hund bei seinen Besuchen im elterlichen Hause über sehr hohe Schlagbäume und
breite Gräben sich hinwegsetzte. Bei einer solchen Gelegenheit zog sich Ponzo, den sein
Alter schon steifer gemacht hatte, eine innere Verletzung zu; er mußte in Sandau zurückge-
lassen werden und verstarb daselbst zum großen Leidwesen des ganzen Hauses, sie haben
ihn im Garten hinter dem Hofe begraben
Auf dieser Reise sahen sie den Vulkan auf der Insel Stromboli ganz deutlich; er thut trotz
seiner fortwährenden Tätigkeit keinen Schaden, da die Lava immer nach einer Seite zu in
das Meer läuft. Der Rittmeister hat eine braungelbe Dose mit goldenem Rand und vergolde-
ter Innenseite mitgebracht, sie ist von polirter Lava des Aetna.
Ob sie in Neapel angehalten, ist nicht erinnerlich, jedenfalls ist der Aufenthalt nur ein ganz
kurzer gewesen. Dagegen wurden vor der Mündung der Tiber die Anker ausgeworfen. Die
Officiere bekamen Urlaub zu einem Abstecher nach Rom und hatten sich die Genehmigung
zu einer Vorstellung bei dem Pabste erwirkt. Schon rüsteten sie sich zur Reise, da kam der
Befehl, schleunigst die Anker zu lichten, und sie haben weder Rom noch den Pabst gesehen.
Zwischen Elba und Genua rief der Commodore sämtliche Schiffscapitaine der bedeutenden
Flotte zu sich an Bord, um ihnen die Mittheilung zu machen, daß Napoleon auf seiner Ver-
bannungsfahrt nach der Insel Elba in der Nacht die Flotte passirt habe. Die Nachricht von
von der letzten Katastrophe war noch nicht zu den schwarzen Husaren nach Italien gedrun-
gen, und obwohl ihnen die wiederholten Niederlagen des Kaisers nicht unbekannt geblieben
waren, so stand doch die Überzeugung von seiner Macht so fest, daß sie der frohen Bot-
schaft anfangs keinen Glauben zu schenken vermochten. Indessen sie stand doch nicht zu
bezweifeln; die bereits aufgegebene Hoffnung, jemals die Heimath und die Ihrigen wieder
zu sehen, stand wieder vor ihnen; es sollte aber noch einige Jahre vor der Erfüllung ihres
Herzenswunsches vergehen. Die Überfahrt von Sicilien nach Genua muß demnach im Jahre
1814 Statt gefunden haben.
(Anm. Diese Thatsache ist auf der Heimreise von Genua nach Sicilien geschehen. Auf der
Insel war die Verbannung Napoleons nach Elba schon bekannt, wie die nachträglich aufge-
fundenen Briefe des Rittmeisters ergeben.)
Das Standquartier in Genua währte wieder längere Zeit. Es ist darüber weiter Nichts be-
kannt, als daß der Rittmeister ein ausgezeichnetes Quartier bekam, von seinen Fenstern
konnte er über die prächtigen Gärten voll Orangen und Citronen, die ganze Stadt und den
weltberühmten Golf von Genua übersehen.
Die Orangenbäume hören eigentlich gar nicht auf, Früchte zu produciren; während der
Baum noch voll Früchten in allen Graden und Farben der Reife hängt, ist er schon wieder
mit neuen Knospen und duftenden Blüthen überdeckt, und der Rittmeister hatte sogar den
seltenen Genuß, die also prangenden Bäume in mitten einer schneebedeckten Landschaft
stehen zu sehen, der Schnee vermochte sich aber nicht über Tag zu halten.
Von Genua wurde der Rückmarsch nach England zur See ziemlich auf demselbenWege zu-
rückgelegt, den sie einige Jahre zuvor gekommen waren. Inzwischen hatten sie Vieles er-
lebt, tausend Strapazen erlitten, aber auch manche Freude genossen. Die Rückkehr ging
ohne Gefährde vor sich, das Braunschweigische Corps wurde aufgelöst, der Rittmeister be-
trat die Deutsche Erde wieder und fand alle die Seinen wohlbehalten, wie dies bereits
berichtet ist.
- ENDE -